FOLGENDE ÜBERLEGUNGEN LEITEN MICH:Von der Couch, der »goldenen«, zum »kupfernen« Gruppensetting? - Erste und dritte Weltsituation im globalisierten Psychomarkt - Wo bleibt die Psychoanalyse, die »reine«? - Und wo die »Pest«, das subversive Potential? - Nachdenken über eurozentrierte (unbewusste?) Vorurteile - Was tun? -Politische Perspektiven unserer Arbeit - Versuche, die internationale Brücke weiterhin zu stärken - Ist eine »Solidaritäts-Globalisierung« möglich?
AUTOBIOGRAPHISCHE SKIZZENAls ich 1980 nach Nicaragua reiste, um auf Einladung des sandinistischen Gesundheitsministeriums für zwei Jahre ein Projekt im psycho-pädagogischen Bereich zu verwirklichen, hatte ich keine Ahnung, dass dies meine Emigration aus der Schweiz nach Lateinamerika bedeuten würde.Allerdings waren verschiedene subjektive Bedingungen dafür geschaffen, die ich heute aus der kritischen Distanz erkennen kann: Der Wunsch, die sandinistische Revolution aus der partizipierenden Nähe kennen zu lernen; mich als Schweizer Linke aktiv in die Szene der internationalen Solidarität einzumischen; die Neugierde, wie diese Revolution im speziellen auf die Frauen und ihren persönlichen sowie ihren politischen Alltag einwirkt (was das Thema meiner geplanten Dissertation war); die Lust, alte libidinöse Spuren in Lateinamerika aufzusuchen; die Notwendigkeit, zu erleben, ob »unsere« Psychoanalyse im revolutionären Kontext von Nicaragua anzuwenden sei, und wenn ja, in welcher Form; die Herausforderung, auszuprobieren, ob ich selber die politische und berufliche Theorie, die Ideen der Internationalen-Plattform - Bewegung und meine politische Erfahrung seit 1967 mit der revolutionären Praxis in Nicaragua verbinden konnte; das beginnende Unbehagen, in Zürich zur »mode-linken Psychoanalytikerin« zu degenerieren.Auf die Einladung von Emilio Modena hin versuche ich, mit autobiographischen Skizzen etwas zum Thema dieses Buches beizutragen. Gleichzeitig ist dies eine Rückbesinnung auf unsere gemeinsame psychoanalytische »Wiege« und auf 30 Jahre intensiver persönlicher und beruflicher Beziehung, die uns verbinden. Da wir seit der Plattform-Gruppe unsere Erfahrungen auf verschiedenen Wegen zu verarbeiten suchen, sind wir wohl alle »emergent«* der linken Psychoanalyse, und es kann für die heutige Jugend nützlich sein, unsere Geschichte zu kennen, soweit wir sie selber im Bewusstsein haben.Für mich persönlich begann die Geschichte von Psychoanalyse und Politik 1969 am Utoquai*, als ich, verloren im Cafe Select*, von Manoli angesprochen wurde und bald darauf meine Psychoanalyse mit Goldy Parin begann. Ich hatte keine Ahnung von Psychoanalyse, sondern bin damals als Selbstmordkandidatin auf der Couch gelandet. In den nachfolgenden intensiven fünf Jahren Analyse, mitten in den Geschehnissen der 68er Bewegung, konnte ich meine traumatische Abtreibungsgeschichte in feministisches Bewusstsein umwandeln, den Ablösungskampf von meiner Familie in politisches Bewusstsein integrieren, als »antiautoritäre« Lehrerin in Zürich-Wiedikon maoistische Gedanken mit psychoanalytischen Kenntnissen verbinden, im Mieterkampf die Situation der Zürcher Arbeiterquartiere kennen lernen, und in der politischen Quartiersarbeit bei der Sozial-Stiftung für kinderreiche Familien der Stadt Zürich in »Auzelg«, das den Übernamen »Negerdorfli von Schwamendingen« oder´s »Arschloch von Schwamendingen« hatte, meine ersten ethnopsychoanalytischen Erfahrungen machen, ohne diese bewusst zu systematisieren. Die andere wichtige Praxis in diesem Bereich war das kollektive Filmprojekt einer interdisziplinären Gruppe von Studentlnnen und dem Filmemacher Jörg Hasler mit dem Ziel, die sozialen, kulturellen, religiösen und militärischen Machtstrukturen im Kanton Wallis zu untersuchen, erlebt, erlitten und erzählt von Walliser Studentlnnen, die nach Zürich »emigrierten«. Leider endete die zweijährige Arbeit, ohne dass wir ein gemeinsames Produkt kreieren konnten. Die Machtstrukturen innerhalb der Gruppe, Geldmangel und die Unfähigkeit, unsere Konflikte zu lösen, ließen das Material brachliegen.All diese Erfahrungen festigten in mir den Wunsch, Gruppendynamik und Gruppenmethoden zu studieren, da offensichtlich die meisten Konflikte aus unbewussten Quellen stammten und unseren rationalen Bemühungen trotzten. Bereits damals faszinierte mich die Möglichkeit, Theater, Körperarbeit, Kreativität, interkulturelle Studien und Psychoanalyse zusammenzubringen. In der Basisgruppe Psychologie der Universität Zürich lernte ich den Opportunismus kennen durch die Spaltung von Theorie und Praxis, wogegen mir die Internationale Plattformgruppe als der ideale Ort erschien, um »Marxismus und Psychoanalyse« zu verbinden und das Wissen um die Dynamik des Unbewussten auch auf die politische Praxis umzusetzen.
HOHE ZlELE, HOHE ERWARTUNGEN
Die Übertragungsprozesse am Utoquai florierten auf allen möglichen Arten in und rund um die Plattform herum und motivierten uns bewusst und unbewusst.Am berühmten Kongress der IPA in Wien im Jahre 1971 lernte ich Marie Langer, Armando Bauleo*, Hernan Kesselmann, Alejandro Scherzer und andere lateinamerikanische Psychoanalytikerlnnen kennen, und es begann die fruchtbare Zusammenarbeit, die zu engen persönlichen Freundschaften zwischen Lateinamerikanerlnnen und uns Schweizerlnnen führte. In unserer Studiengruppe der »Sexpol-Bewegung« sowie in den vielen Study-Group-Erfahrungen am Psychoanalytischen Seminar konnten sich die freundschaft-lichen Bande stärken, die trotz verschiedener politischer Auffassungen und 2Ojähriger geographischer Distanz bis heute für mich ihren Wert behalten.Zur bitteren Erfahrung des Herrschaftsverhältnisses innerhalb der Geschlechter in den linken Parteien und Organisationen, in meinem Fall bei den Maoistlnnen, gesellte sich leider auch die Wiederholung alter patriar-chalischer Muster in unserer idealisierten Brudergemeinde Plattform, was einige von uns jungen »Kandidatinnen« in der psychoanalytischen Ausbildung dazu bewegte, die Gruppe MERDE zu gründen. Wir wollten die internen Kommunikations- und Machtstrukturen in unserer Gruppe analysieren, um demokratischere Arbeits- und Umgangsformen zu erreichen. Dabei wendeten wir zum ersten Mal die »operative Gruppentechnik« mit der Koordination von Armando Bauleo an, die uns ein ausgezeichnetes Vehikel für unsere Ziele gab. Nebst der geschlechtsspezifischen Diskriminierung erkannten wir den Medicozentrismus innerhalb unserer Gruppe, indem unsere Analyse ergab, dass die »Führerpersonen« in der Gruppe fast alle Männer und Ärzte waren, wogegen wir Frauen zum großen Teil auch in Bereichen wie Quartiersarbeit, Schulpsychologie, Elternvereine etc. arbeiteten. Unsere Anliegen wurden aber von unseren »älteren Brüdern« weginterpretiert, als »Penisneid« und »nicht gelöste ödipale Probleme« belächelt; Reaktionen, die wir allzu gut von den angefeindeten JPA-Analytikerlnnen kannten. Gruppenarbeit wurde damals als »populistisch« radikal verworfen und von den meisten Plattform-Mitgliedern, v.a. den männlichen, als nicht vereinbar mit Psychoanalyse angesehen.Diese Erfahrung verhalf mir dazu, noch vermehrt die feministische Frauenpolitik mit psychoanalytischem Wissen zu verbinden. Nebst dem Engagement in der interdisziplinären politischen linken Frauenbewegung gründeten wir Selbsterfahrungsgruppen unter angehenden Psychoanalytikerinnen und die Supervisionsgruppe mit Goldy Parin, gegen Ende der 70er Jahre, wo wir spezifische Übertragungsprozesse zwischen Frauen im psychoanalytischen Setting diskutierten.Das Interesse für die sozialistischen Anti-Psychiatrie-Projekte von Franco Basaglia und Giovanni Jervis, die Faszination von Laing und Cooper und die Quartiersprojekte in Bologna motivierten mich, einige Monate in Italien zu arbeiten. Andererseits studierte ich an der neu gegründeten FU in Berlin bei Prof. Holzkamp zwei Semester Psychologie und erlebte die Kommunenrealität, antiautoritäre Kinderläden, Quartiersarbeit in Kreuzberg, Gruppenerfahrungen bei Günter Ammon etc. Diese Aufenthalte waren meistens meine alloplastische Verarbeitung der Abwesenheit von Goldy Parin, während sie auf ihren Afrikareisen war.1974 gründeten Emilio Modena und ich unsere Gemeinschaftspraxis an der Zwinglistrasse* in Zürich, wo wir glaubten, unsere Träume verwirklichen zu können, Politik und Psychoanalyse zusammenzubringen. Es war eine sehr fruchtbare und intensive Zusammenarbeit, obschon bald die Widersprüche zwischen uns ersichtlich wurden. Ich machte gegen Emilios Einwände meine erste Psychodramagruppe mit Frauen und begann zu erkennen, dass meine Ideen von einer proletarischen Quartierspraxis nicht denjenigen von Emilio entsprachen. Ich wollte die Psychoanalyse mit politischer Praxis im Quartier verbinden, er wollte beweisen, dass Proletarierlnnen analysefähig auf der Couch sind. Manifest wurde dieser Widerspruch in der Auffassung von politischer Arbeit im Feld der Psychoanalyse, als ich Robert Castel einlud, um über die Pariser Erfahrungen in der Quartiersarbeit zu diskutieren, was damals Emilio und das neu gegründete Seminar Tellstrasse* nicht interessierte.Heute weiß ich, dass diese Widersprüche und Fragen in Bezug auf die Möglichkeiten der Anwendung psychoanalytischen Wissens »außerhalb der Couch« in vielen Ländern und in verschiedenen Kontexten diskutiert wurden und auch heute im Zentrum des psychoanalytischen Tuns stehen. Die Debatte, ob Gruppenarbeit wohl etwas mit Psychoanalyse zu tun habe, ob Ethnopsychoanalyse* in die Sozialforschung integriert werden konnte oder Arbeit in Institutionen und Organisationen von der Psychoanalyse profitieren konnte etc., wurde damals in unserem schweizerischen Plattform-Kontext abstrakt und rigide geführt, inspiriert von Vorurteilen, Fehlen an Praxis und wahrscheinlich einer Portion Größenphantasien, die eine flexible Diskussion nicht zuließ.Zur gleichen Zeit (60er Jahre) entwickelten in Lateinamerika die linken Psychoanalytikerinnen ihre Arbeit mit der »operativen Gruppenmethode« (A. Bauleo et al.) auf der theoretischen Basis von E. Pichon-Riviere* und dem Psychodrama (E. Pavlovsky et al.), arbeiteten in Spitälern und in Quartieren (Marie Langer et al.) und gründeten die Bücherreihen Questionamos und Lo Grupal. Im politischen Kontext des beginnenden Staatsterrors der Militärdiktaturen im Cono Sur* bekam die psychoanalytische Praxis der KollegInnen notwendigerweise neue Formen, die sich inzwischen zu einer langen Tradition der psychoanalytisch orientierten Gruppenarbeit entwickelten. Anfangs der 70er Jahre konnten wir im Austausch mit den argentinischen Kolleglnnen diese Gruppenmethoden erlernen und außerdem von ihren beruflichen und politischen Erfahrungen profitieren.Wenn das Setting in Frage gestellt wird, oder, ob die hochfrequente Analyse noch durchführbar sei, steht immer im Mittelpunkt dieser Diskussion, was denn die Essenz der Psychoanalyse ist und welches unsere ethischen, ideologischen und epistemologischen Grundlagen sind.Es geht darum, das Unbewusste zu erforschen, und dies im Rahmen der Übertragungsprozesse im jeweils konkreten kulturellen, sozialen und historischen Kontext, in welchem sich der psychoanalytische Prozess entwickelt. Ich denke, dass dabei das Risiko ständig existiert, entweder in dogmatisches, rigides Denken - oder im Gegenteil - in improvisierte, dem Markt entsprechende Anpassungen des Settings zu verfallen. Es gibt wohl keinen anderen Weg, als in ständiger Autoreflexion und kollektiver Diskussion sowohl die eigenen Ambitionen und existentiellen Bedürfnisse, als auch den Einfluss des institutionalisierten (ständischen) Denkens auf unsere Identifikation und unseren Umgang mit der Psychoanalyse zu hinterfragen. Diese unbequeme aber auch faszinierende Aufgabe hat ja bereits Freud erkannt, wenngleich er ihr erlegen ist, um die psychoanalytische Bewegung zu »retten«.Deshalb ist die alte Frage, ob das »Gold« der reinen Psychoanalyse als einziger Schatz zu bewahren sei oder ob es darum gehe, sich mit »Kupfer« zufrieden zu geben, meiner Ansicht nach falsch gestellt. Oder mindestens sollte die Frage beigefügt werden, welche neuen »Legierungen« dem entsprechenden Kontext am besten entsprechen könnten.Im Mittelpunkt steht also nicht nur die Notwendigkeit, den jeweiligen Markt, unsere eigene existenzielle Situation und diejenige unserer Patientlnnen zu bedenken, sondern auch den kulturellen, spezifisch sozialen Kontext der Menschen, mit denen wir arbeiten. Meistens sind es nicht nur ökonomische Überlegungen, die eine Gruppenarbeit indizieren, und deshalb ist es natürlich von großem Vorteil, wenn wir nicht nur die »orthodoxe« Psychoanalyse kennen, sondern auch andere Methoden in unserem »Werkzeugkoffer« mit dabei haben. Von meiner eigenen langjährigen Erfahrung her kann ich aber sagen, dass die individuelle und hochfrequente Psychoanalyse auf der Couch für mich ohne Zweifel die Basis ist, die mir erlaubt, mit anderen Methoden (v.a. dem Psychodrama) zu arbeiten sowie im Rahmen der Sozialforschung aktiv zu sein.Nebst meiner Ausbildung in Psychodrama am Moreno-Institut Überlingen, Boston, und in unserer Zürcher Gruppe suchte ich linke Theatergruppen auf, um diese beiden Gebiete zu integrieren. Mit Augusto Boal lernte ich in Paris die Arbeit des »teatro de los oprimidos« kennen, eine politische Variante des Psychodramas; später (1980), in den Anfängen der Jugendbewegung, lud ich ihn nach Zürich für einige Workshops ein, als ich bereits mein Projekt mit Nicaragua vorbereitete. Ebenso lernte ich von Jonathan Fox und seinem Back Stage Theater in New York viele Möglichkeiten, die psychodramatische Arbeit zu bereichern.Auf diesem Gebiet der Kunst knüpft das Psychodrama an die Tradition der Surrealisten an, wobei wir im Gruppenprozess auch ethnopsychoanalytische Studien machen können, da die persönlichen und kulturellen Symbole in der Körpersprache und averbalen Kommunikation sichtbar werden.
»FRESSEN REVOLUTIONEN IHRE KINDER AUF ...?« NICARAGUA 1980-84
Einige Kolleglnnen des Gesundheitsministeriums hatten bereits eine Einführung in die »operative Gruppentechnik« mit Armando Bauleo erlebt und wollten diese Erfahrung vertiefen. Mein Projekt war ausgerichtet auf die Ausbildung von sandinistischen Kolleglnnen und politischen Kadern im Bereich von Salud Mental, im Besonderen auf dem Gebiet der Gruppenmethoden im klinischen, sozialen, institutionellen und pädagogischen Bereich. Im Zusammenhang damit und außerdem für mein persönliches ethnopsy-choanalytisches Forschungsprojekt1 arbeitete ich mit proletarischen Frauen aus einem Quartier in Managua, die sich zu einem Schneiderinnenkollektiv zusammengeschlossen hatten; dies in Zusammenarbeit mit der Frauenorganisation AMNLAE.Ausgerüstet mit meinen beruflichen Werkzeugen, der Psychoanalyse, dem Psychodrama und der »operativen Gruppentechnik«, begann ich meinen Weg in Lateinamerika, getrieben von der Utopie, Psychoanalyse mit revolutionärer Politik zu verbinden. Diese Leidenschaft hat sich in den letzten 20 Jahren verstärkt, trotz schmerzlicher Erfahrungen und Desillusion. Wahrscheinlich bin ich heute realistischer und habe meine Erwartungen zurückgeschraubt, aber die Ideale konnten sich erhalten und sind dank verinnerlichter »guter Objekte« stärker geworden. Ich hatte das Glück, Politik und Liebe integrieren zu können, so dass sich revolutionärer Kampf mit glücklichen Erfahrungen verband.Dazu gehören Goldy Parin, meine Psychoanalytikerin, der ich diesen Artikel widmen möchte, und Paul Parin*, mit dem ich zum Glück noch heute politisieren und diskutieren kann. Durch Goldy habe ich die Psychoanalyse als »subversives Potential«* im eigenen Frauenleben kennen gelernt; die Faszination und die Neugierde, in verschiedensten Situationen und Kontexten zu forschen, beflügeln mich noch heute. Allerdings gesellte sich zu dieser lustvollen Kraft mit der zunehmenden politischen Erfahrung auf dem lateinamerikanischen Kontinent die andere Seite dazu, die wohl eher zu den aggressiven Impulsen gehört und nicht libidinös gespeist ist. Je zunehmender hier das Elend ist, als Konsequenz der neoliberalen Politik und der Globalisierungsstrategien der dominanten reichen Welt, je mehr Menschen leiden auf allen Ebenen, umso mehr festigt sich in mir das Bewusstsein, dass es ohne Kampf keine Hoffnung auf ein Weiterleben gibt, nicht zu reden von einem »besse-ren« und gerechteren Leben! Das heißt, dass sich die Fragen einmal mehr stellen, die in den 30iger Jahren die Kolleglnnen der Sexpol-Bewegung in den Mittelpunkt rückten: Weshalb lässt sich die Masse manipulieren? Warum gibt es keinen organisierten Widerstand? Welche Rolle spielt die »gesellschaftliche Produktion von Unbewusstheit« (Mario Erdheim 1982)? Wie manifestieren sich heute in der spezifischen Kultur, in der wir leben, die Herrschaftsverhältnisse, und wie werden sie aufrecht erhalten? (Massenmedien) Was kann die Psychoanalyse beitragen? Ist der Wiederholungszwang unüberwindbar? Ist Krieg vermeidbar?
Es ist traurig und macht mich wütend, dass so viele der damaligen 68er ihr politisches Engagement als »Jugendsünde« belächeln. Oder sich bequem zurücklehnen und sich mit intellektuellen Diskussionen immer noch als »Linke« wähnen. Oder nostalgisch von ihren Nicaragua-Zeiten träumen, verbittert oder resigniert die Niederlage der Linken hüben und drüben als Schlusspunkt ihrer politischen Karriere betrachten. Dies in Zeiten, wo der angehäufte Reichtum, die Technologie und die Informatik es erlauben würden, dass kein Mensch auf diesem Planeten hungern müsste! Das Gegenteil ist der Fall: noch nie war das Elend der Menschen der dritten (fünften?) Welt so groß wie heute.
WAS TUN?
In der brasilianischen Stadt Porto Alegre fand im Februar 2001 das erste internationale Antiglobalisierungstreffen statt, das die internationalen Proteste in einer langsam sich wieder organisierenden »Frente Amplio« von Bauern, Landlosen (»l@s sin tierra«), Linken, Grünen, Feministinnen, Indianerlnnen, Schwulen etc. versammelt. Ebenso wichtig sind natürlich weiterhin die Kämpfe der Zapatistlnnen in Mexiko, die am besten ausdrücken, was in allen Ländern Lateinamerikas mit der indianischen Bevölkerung passiert. Wo sind dabei die Intellektuellen, wo die Psychoanalytikerlnnen geortet?Im Zusammenleben mit Antonio (Honorio Grieco, Tupamaro aus Uruguay, mein Lebensgefährte von 1981 an bis zu seinem Tod 1996) und anderen südamerikanischen Revolutionärlnnen, im Kontext von Exil,Trauma-tisierungen, Folter, Klandestinität, bekam für mich die Psychoanalyse neues Leben. Ich war anfangs recht skeptisch über die Möglichkeit, sie produktiv zu machen in Nicaragua, in der Situation der tausend existentiel-len Probleme. Aber das brennende Interesse und die vielfach wiederholten Ausrufe: »Wenn wir das gewusst hätten!« erinnerten mich an meine eigene Faszination und Überzeugung, dass das Wissen um Psychoanalyse unerhört wichtig ist für politische Aktivität. Nicht nur als Therapie, sondern vor allem als Wissenschaft über die unbewussten Prozesse, die Antworten geben kann im Problemkreis der politischen Organisationen und Arbeitsmethoden. Allerdings traf ich zusammen mit Antonio wiederum (wie damals in der schweizerischen Linken) auf große Widerstände seitens der revolutionären compañer@s; es klangen die alten Vorurteile, Psychoanalyse sei eine kleinbürgerliche Ideologie, in den Ohren. Aber der Kontext und die Präsenz von Antonio machten es den Leuten nicht so einfach, solch simple Argumente zu gebrauchen. Also entstand ein kleiner Kreis von internationalen compañer@s in Nicaragua, in welchem wir spezifisch politische Phänomene zu studieren begannen, mit Einbezug der Psychoanalyse, z.B.: »Warum wurde compañero X. zum Verräter?«»Welche Aspekte der Persönlichkeit sind wichtig für die Teilnahme an einer klandestinen Aktion?«»Ist sexuelle Abstinenz angezeigt in der Klandestinität, oder ist sie eben gerade Neurose fördernd?«»Wie steht es mit dem Geschlechterverhältnis innerhalb der Organisation? « »Was machen wir, wenn jemand Angst hat mitten in einer Aktion? « »Wo bleibt die Trauerarbeit über den Verlust der compañer@s?« »Welche Methoden könnten für mehr Sicherheit sorgen?« etc.
Auswirkungen der militärischen Deformierung innerhalb der revolutionären Linken wurden im Zusammenhang mit der Kultur des lateinamerikanischen Machismos erkannt. An einem internationalen Treffen brachte die Erinnerung an die Großväter und die Väter mehr Information und Einsicht in persönliches politisches Engagement als alle politischen Sitzungen zuvor über die Regeln der »militanten Teilnahme« am Kampf. Dann wurde auch akzeptiert, dass das Fehlen der Frauen (Mütter, Großmütter) bei den Erzählungen ebenso bezeich-nend ist wie das Fehlen der Kämpferinnen im Führungskreis...Leider, oder bezeichnenderweise, wurde von den Sandinisten, als sie die Macht im neuen Staat übernahmen und sich zur legalen Partei formierten, die geplante Arbeit mit den politischen Kadern nicht durchgeführt. Später drückte Daniel Ortega an unserem Treffen des CIR (Centre International de Recherche Groupal, »Internationale Organisation des Bereiches operative Gruppenmethode«, gegründet von Armando Bauleo und Marta de Brasi) im Jahre 1990 in Nicaragua sein Interesse aus. Nur vergaß er dabei, dass er dies machte, nachdem er bereits die Wahlen an Violeta Chamorro verloren hatte ...
»DAS OBLIGAT UNGLÜCKLICHE VERHÄLTNIS DER PSYCHOANALYTIKER ZUR MACHT« (PARIN, PARIN-MATTHEY 1986)
Unsere Übersiedlung nach Costa Rica geschah im politischen Kontext der sandinistischen Politik und der lateinamerikanischen revolutionären Organisationen. San Jose, die Hauptstadt, glich in den 80iger Jahren Casablanca, denn sie galt als Basis für alle möglichen Organisationen, während Honduras der militärische Stützpunkt für die Organisierung und Unterstützung der Konterrevolution seitens der USA war. Unser Restaurant diente uns als letzte Station des Exils von Antonio und war Ort der vielfältigsten Begegnungen. Für mich war diese Zeit die schwierigste, da ich das auferlegte Schweigen im klandestinen Kontext mit der psychoanalytischen Abstinenz verbinden musste; von linken Polittouristen, die uns besuchten, wurde ich zur »kleinbürgerlichen Besitzerin« abgestempelt. Der narzisstische Wunsch, mich zu rechtfertigen und »die Wahrheit« zu erzählen, kam in Konflikt mit den politischen Regeln. Mit wem also in meiner eigenen Sprache reden? Nur dank den Supervisionen und Diskussionen mit Goldy und Paul (auch mit Berthold Rothschild*) während meiner Besuche in der Schweiz konnte ich jene Jahre und Erlebnisse bewältigen. Es war die Erfahrung, den »sozialen Tod« (Mario Erdheim) zu erleiden, existentielle Angst und Einsamkeit kennen zu lernen, die bekannte Welt und die aufgebaute Identität zeitweise aufzugeben.Wer bin ich, wo bin ich, weshalb bin ich hier? Die Emigration begann, »wahr« zu werden.Es waren schwierige Grenzerfahrungen, die mir heute sowohl für mein persönliches wie mein berufliches Leben außerordentlich viel nützen und die Möglichkeit geben, mich in die Situation der Menschen in Gefahr, in einer Doppelidentität, im traumatisierenden Kontext einzufühlen.Und jetzt, da ich reden kann (oder sollte ich nicht?), steht politisch weniger auf dem Spiel, ist die Sorge um die Sicherheit der compañer@s leider nicht mehr nötig. Viele sind tot, die revolutionären Organisationen zersplittert oder als legale Parteien tätig. Die politische Situation in den letzten 20 Jahren in Zentralamerika hat sich total geändert, weil die Kraft der linken Opposition zerschlagen ist.
COSTA RICA - EL SALVADOR - KUBA – PALÄSTINA
Seit 1989 bin ich offiziell als Psychoanalytikerin hier in Costa Rica tätig, symbolisch bleibe ich der Schweiz patriotisch verhaftet. Costa Rica wird als »Suiza de Centroamerica« betrachtet, Uruguay war die » Suiza de America del Sur« ... und zum Glück konnte ich die Brücke zu meinem Freundes- und Kollegenkreis behalten, bin eine Pendlerin, »viajera entre los continentes«. Was der Schweizerpass alles erlaubt! Auch dies habe ich gelernt, meine Privilegien als Europäerin zu erkennen, auszunützen und bewusst zu machen, wie tief verhaf-tetes eurozentrisches Denken bei mir und bei andern existiert, und wie wichtig die permanente Selbstanalyse auf diesem Gebiet ist, um nicht unbewusst in neokolonialistische Haltungen zu regredieren oder in arrogantem Besserwissen den andern die eigene Meinung aufoktroyieren zu wollen. Wie oft denken die Europäer, sie wüssten, was für die Völker der Dritten Welt nötig sei, vor allem auch die Linken. Und weil ihre eigenen grandiosen Phantasien der 68er Zeit verloren sind, konnte schnell die Reaktionsbildung einsetzen: Alles wird falsch gemacht, nichts hat einen Sinn; Verachtung und Hass tritt anstelle der einstigen Idealisierung ... Narzisstische Wurzeln der politischen Motivation werden erkennbar!
IST DER MENSCH VERÄNDERBAR?
Einige nennen mich »Dinosaurierin«, weil ich diese wichtige Frage, die Paul Parin im Interview mit Aurel Schmidt (Parin, Parin-Matthey 1986, S. 153-165) diskutierte, weiterhin trotz pessimistischer Aussichten in denheutigen Machtverhältnissen auf der Welt positiv beantworten möchte. Sonst könnte ich nicht als Psychoanalytikerin tätig sein, und sonst hätte ich meinen politischen Aktivitäten längst abgeschworen. Es könnte also eine Mischung von Selbsterhaltungstrieb und Aufrechterhaltung des Ich-Ideals sein, die mich die Hoffnung nicht verlieren lässt. Wiederum denke ich an die Wichtigkeit der verinnerlichten guten Objekte, die einen Gegenpol zum aggressiv-sadistischen Aspekt des fordernden Über-Ichs geben können, den ich notwendigerweise als Deutsch-Schweizerin auch internalisiert habe. »Nicht aufgeben, wenn du Dir genug Mühe gibst, geht es ...« etc.Im engen Zusammenleben mit Menschen, die gefoltert wurden, habe ich lernen müssen, dass solch traumatisierende Erfahrungen meistens das »Vertrauen in die Menschheit« zerstören und nicht wieder gut zu machen sind. Es kommt wohl im Individuellen darauf an, welche Abwehrmechanismen das Subjekt zur Verfügung hat, ob in seiner frühen Kindheit eine Basis zum »Urvertrauen« gebildet wurde, die sich eventuell etwas halten kann, wie das Anpassungsvermögen des Ichs im Einzelfall ist und wie sich die aggressiven Impulse äußern können.Die christliche westlich-zivilisierte (?) Welt maßt sich an zu sagen, sie sei dem Talionsgesetz entwachsen, von primitiven Reaktionen wie Rachegelüsten oder »Auge um Auge, Zahn um Zahn ... « emanzipiert! Aber wo sind die Aggressionen der westlich-kapitalistischen Menschheit geblieben? Die Ethnopsychoanalyse versucht seit dem Beginn der Forschungen von Parin, Parin-Matthey und Morgenthaler in den 60iger Jahren, Antworten zu geben oder mindestens durch die Kenntnisse von andern Kulturen bessere Einsicht in das Funktionieren der unbewussten Dynamik von Subjekt, Kultur und psychischer Struktur zu gewinnen. Heute, da die neuesten Beiträge der Wissenschaft immer mehr biologisierende Theorien und die chemische Behandlung der Probleme empfehlen, ohne zu fragen, was wohl der Grund dieser Probleme sei, ist die Psychoanalyse einmal mehr unerwünscht und »ineffizient«. Aber wir können denken, dass sie, wie die Katzen, mehrere Leben hat (aus einem persönlichen Gespräch mit Paul Parin 2001).Es scheint doch immer wieder das Interesse aufzutauchen, wie es denn mit dem Unbewussten stehe? Das Unheimliche ist trotz Vermarktung in den Massenmedien nicht weg zu denken von der Kinder- und Erwachsenenwelt, und wenn in der so genannten Modelldemokratie USA adoleszente Jugendliche vermehrt Amok laufen und ihre Kolleglnnen in der Schule erschießen, kommen sogar die besten Medizinerlnnen an ihre Grenze.Wie wir wissen, ist unsere Richtung der gesellschaftskritischen Psychoanalyse nicht gefragt, in Europa ist sie anscheinend »aus der Mode gekommen«, und hier in Lateinamerika wird sie von den postmodernen Strömungen, v.a. dem Lacanismus, verdrängt. Er zeigt sich vom Cono Sur bis Mexiko in elegantem Gewand, es werden Glasperlen und schillernde Farben verkauft, der Markt läuft gut. Denn die meisten Menschen hier wollen nicht an das Schmerzliche denken, möchten den narzisstischen Kränkungen ausweichen, die Realität und ihren Niederschlag in sich selber nicht erkennen. Sie möchten Europäerlnnen oder noch besser: Amerikanerlnnen sein. Selbstverständlich ist diese Illusion nur für die Mittel- und Oberschichten denkbar, aber das ist ja die Schicht, an die die Psychoanalytiker normalerweise gelangen. Es entstand seit den 60iger Jahren in Lateinamerika ein Kult der international gut organisierten lacanianischen Gruppierungen, die in Argentinien ihre Stärke während der Militärdiktaturen erreichten, hier in Zentralamerika erst in den letzten zehn Jahren im Zug der neoliberalen Strömungen auftauchten.Ich verberge meine Abneigung gegen diese Kolleglnnen keineswegs, da die Erfahrungen mit ihnen sehr negativ sind, da sie, v.a. die Gruppe der Argentinierlnnen, die anfangs der 90iger Jahre hierher emigrierte, ohne jedwelche Ethik in einem verführerischen grandiosen (imperialistischen) Gebaren auftraten, unsere Aktivitäten boykottierten oder dann einfach ignorierten. Selbstverständlich gilt mein Ärger der Tatsache, dass sich die Leute hier von dieser Art Psychoanalyse angezogen fühlen, sich kritiklos in Abhängigkeitsstrukturen inzestuöser Art begeben, stumm die importierten Göttergestalten bewundern, die uns natürlich in unsern Bemühungen völlig an den Rand gedrängt haben, da sie auch freien Zugang und Unterstützung seitens der offiziellen Presse haben. Rivalitätskonflikte oder politische Konsequenz? Wohl ist beides dabei ...Trotz dieser »ungünstigen historischen Verhältnisse«, oder eben gerade weil diese wohl als logische Konsequenz in der Geschichte der kritischen Psychoanalyse* zu verstehen sind, führen wir unsere Arbeit in der eroberten gesellschaftlichen Nische fort; Goldy Parin würde sagen: »notwendigerweise subversive«. An der staatlichen Universität (UCR) habe ich Mitte der 90iger Jahre im Postgraduierten-Studium in Ethnopsychoanalyse promoviert, dessen Auswirkungen sich in Forschungsprojekten und einer Weiterführung des Studiums am Sozialforschungsinstitut im interdisziplinären Rahmen mit einem Kreis von 15 Kolleglnnen spiegelt.Seit 1989 besteht ASPAS (Association de psicoanalisis y psicologia social) als interdisziplinäre Organisation mit dem Interesse, Psychoanalyse auf verschiedene Weise zu sozialisieren; Vorträge, Seminaren, Diskussionsrunden etc. Bis jetzt haben wir sechs Publikationen Giros de ASPAS veröffentlicht, mit den folgenden thematischen Schwerpunkten:1. Psychoanalyse und operative Gruppe (1990)2. Psychoanalyse und Menschenrechtsprobleme (1992]3. Psychoanalyse und weiblicbe Sexualität (1994)4. Psychoanalytisch orientiertes Psychodrama (1996)5. Ethnopsychoanalyse (1998)6. Aussichten der Psychoanalyse im III. Jahrtausend (2000)
Ich bin sehr froh, dass es möglich war, Brücken zu bauen zwischen ASPAS und dem PSZ* (Psycboanalytisches Seminar Zürich), dem Werkblatt (Österreich) und lateinamerikanischen Kolleglnnen, die uns mit ihren Besuchen und ihrer Mitarbeit helfen, Psychoanalyse zu vermitteln. Dank einer Spende des PSZ war es uns möglich, einige wichtige Texte im Bereich der Ethnopsychoanalyse zu übersetzen.Es fehlen hier in Zentralamerika gut ausgebildete Psychoanalytikerlnnen, und ich befand mich im Dilemma mit den Übertragungsprozessen und dem Wunsch, psychoanalytische Ausbildung zu strukturieren. Bis anhin habe ich darauf verzichtet mit dem Bewusstsein, dass ich unweigerlich zur Guru und allmächtigen (inzestuösen) Mutterfigur erhoben würde, was die Qualität der Ausbildungsinstitution beeinträchtigen und eben wiederum in die Richtung der von uns kritisierten Ausnützung von unbewussten Prozessen für zentralisierte Machtverhältnisse gehen würde. Hingegen existiert bereits ein Kreis von ca. 20 Kolleglnnen, die ihre langjährige und hochfrequente Analyse bei mir abgeschlossen haben und die beginnen, sich um die Weiterausbildung zu kümmern. Ich würde dabei sozusagen die Rolle der » Alten im Hintergrund«, nach afrikanischem Muster, übernehmen, und das wäre sehr gut so.Die Übertragungsprozesse im Psychodrama werden anders gehandhabt, da im Mittelpunkt nicht die Bildung einer Übertragungsneurose steht, sondern die Erfahrung und Analyse der unbewussten Prozesse im Gruppengeschehen, die fortwährend interpretiert (dargestellt) werden. Deshalb besteht weniger Gefahr der Hierarchisierung (in Form einer omnipotenten Mutterfigur), obschon diese Tendenz existiert und dauernd reflektiert werden muss. Wir haben vor zwei Jahren ICOPSI (Instituto Costarricense de Psicodrama Psico-analitico, http://aspascr.com) gegründet, als Institutionalisierung der Ausbildungszyklen, die ich seit zehn Jahren hier in Costa Rica organisiert habe, und wir sind dabei, zusammen mit den Kolleglnnen der EMPS (Escuela Mexicana de Psicodrama y Sociometria) eine für Zentralamerika ausgerichtete Vernetzung aufzubauen. Im Augenblick sind wir zwölf Frauen als aktive Mitarbeiterinnen im ICOPSI um einen Kreis von ca. 30 Kandidatlnnen in Ausbildung. Zum Glück sind vermehrt auch Männer dabei (dies sowohl im Psychodrama wie in der Einzelanalyse), was in der hiesigen mutterzentrierten und machistischen Kultur einen riesigen Fortschritt bedeutet ...Seit sechs Jahren mache ich Ausbildung in Psychodrama mit Frauen der politischen Organisation in El Salvador, M.A.M. (Melida Anaya Mantes),Ex-Guerrilleras, die als »Barfußärztinnen« aktiv sind. Sie sind interessiert an der Methode, brauchten aber in erster Linie ihre eigene Therapie. Die Mehrzahl der Frauen sind von Krieg, Klandestinität, Gefängnis und Folter traumatisiert. Die Frauen der ersten Gruppe multiplizieren ihre Erfahrung bereits in ihren Dörfern, wobei ich sie mit Supervision unterstütze. Die zweite Gruppe ist in ihrem Prozess fortgeschritten, obschon die kürzlichen Erdbeben und erneute traumatische Situationen die Arbeit sehr erschweren und intensivieren.Diese solidarische Arbeit mache ich mit der Unterstützung der schweizerischen NGO* Central Sanitaire Suisse (CSS), die ebenfalls die Unkosten meiner diesbezüglichen Arbeit in Palästina im GCMHP (Gaza Center for Mental Health Programm) seit 1998 finanziert.An anderer Stelle (GSS-Bulletins, GIROS de ASP AS, Subjetividad y Cultura) habe ich ausführlich und theoretisch erörtert, weshalb ich das Psychodrama als günstige Methode im lateinamerikanischen Kontext betrachte und auch in Situationen, die traumatische Erfahrungen beinhalten. Dies, ohne meine Identität als Psychoanalytikerin in Frage zu stellen.
Zum Schluss möchte ich den Schwerpunkt auf die Arbeit in Kuba legen. Seit 1986 fanden alle zwei Jahre die Encuentros latinoamericanos de psico-analistas y psicolog@s marxistas statt; im ganzen waren es sieben Anlässe, bei denen auch viele europäische Analytikerlnnen teilnahmen. Initiiert wurden diese Kongresse von Mimi Langer, Juan Carlos Volnovich und Silvia Werthein, und sie bedeuten in der Geschichte der linken Psychoanalyse die Überwindung der langen Spaltung und des Widerstandes seitens der sozialistischen Länder gegen die »kleinbürgerliche Psychoanalyse«. Ohne hier ausführlich auf die Dynamik und die inhaltlichen Diskussionen eingehen zu können, soll lediglich betont werden, dass die intensiven einwöchigen Kongresse überaus interessant und aufschlussreich waren für die Diskussion: Psychoanalyse, Sozialismus und Ideologie.Für interessierte Kolleglnnen existieren viele Arbeiten (auf spanisch) darüber, vor allem in der Zeitschrift
Subjetividad y Cultura, herausgegeben von Miguel Matrajt, Enrique Guinsberg und Mario Campuzano, Mexiko. Aber wir wissen um die Begrenztheit der theoretischen Diskussionen in unserem Berufsfeld, und deshalb suchte ich nach Möglichkeiten, praktische »Basisarbeit« zu machen. Dieses Interesse verband mich wiederum mit Emilio Modena, der als mediCuba*-Vorstandsmitglied in Zürich das Projekt eines professionellen Austausches mit dem COAP* lancierte, das ich von Costa Rica aus unterstützen konnte.Dieses Projekt ist demnach die direkte Konsequenz dieser internationalen Treffen, die die schweizerische NGO mediCuba Suiza mit dem kubanischen Ausbildungszentrum der psychologischen Fakultät der Universität La Havana, der Poliklinik COAP (Centro de Orientacion y Asistencia Psicologica), vereinbart hat, dies unter der Projektleitung von Emilio und mit meiner psychoanalytischen und psychodramatischen Arbeit seit 1996. Zuerst war es solidarische (unbezahlte) Arbeit, jetzt hat mediCuba mehr Geld zur Verfügung, so dass eine Erweiterung der Zusammenarbeit möglich ist. Wenngleich immer noch Vorurteile gegen die Psychoanalyse seitens einiger kubanischer Kolleglnnen bestehen, hat das Interesse der jungen Psychologlnnen die Oberhand gewonnen, so dass ich anfangs dieses Jahres einen Intensivaufenthalt von drei Monaten machte. Dabei stehen im Mittelpunkt der psychoanalytischen Arbeit die Kasuistik und Supervisionen, damit die abstrakten Begriffe »unbewusst« und »Übertragung und Gegenübertragung«, »Widerstand«, »Abwehrmechanismen« etc. ihre Bedeutung bekommen. Während der »Encuentros« waren verschiedene schweizerische Psychoanalytikerlnnen aktiv, nebst Emilio Modena auch Pedro Grosz, Ita Grosz-Ganzoni, Christian Jordi (aktueller mediCuba- president), Ruedi Studer, Gregor Busslinger u.a.m.Aber die Nachfrage der kubanischen Kolleglnnen ging in erster Linie danach, ihre eigene Therapieerfahrung machen zu können. Es besteht eine ähnliche Situation in Kuba wie in Costa Rica und den anderen zentralameri-kanischen Ländern, indem Psychoanalyse zwar theoretisch an den Universitäten gelehrt wird, aber keine Möglichkeit der Therapie besteht. Bekanntlich sind die meisten Psychoanalytikerlnnen 1959 beim Sieg der Revolution nach Miami geflohen, und es brauchte 30 Jahre und die Krise des Sozialismus, bis eine vorsichtige Annäherung gewünscht wurde. Ich entschloss mich, Psychodramagruppen zu machen, um ihnen eine minimale psychoanalytisch orientierte Selbsterfahrung/Therapie im Rahmen einer Ausbildung zu ermöglichen. Die erste Gruppe umfasste das Team des COAP und war demzufolge eine Arbeit, die Aspekte der Institutionsanalyse beinhaltete, zu gleicher Zeit wie sie den Einzelnen die Möglichkeit gab, ihre persönlichen Probleme in der Gruppendynamik zu bearbeiten. Die Teilnehmerlnnen erlebten zwischen 1997 und 2000 einen intensiven Therapie- und Lernprozess, jeweils zweimal jährlich während einer Woche.Während des diesjährigen längeren Aufenthaltes konnte ich natürlich vielfältiger arbeiten, sei es an der Fakultät mit Vorträgen und Diskussionen über psychoanalytische Themen, sei es in anderen Institutionen wie Justizministerium und Pädagogischer Hochschule, die ebenfalls großes Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Da sich in dieser Zeit meines praktischen Engagements die persönlichen sowie die politischen Beziehungen vertieft haben, konnte ich auch Einzeltherapien mit elf Psychologlnnen in Form von psychoanalytischen Kurztherapien machen.Daneben formierte sich die zweite Psychodramagruppe an der psychologischen Fakultät, mit 15 Studentlnnen und einigen Professorinnen im Projekt Diplomado de psicodrama psicoanalitico (Zusatztitel). Wir realisierten 16 Psychodrama-Nachmittage (je drei Stunden), so dass jede/r Teilnehmerln eine intensive Therapieerfahrung machen konnte. Natürlich kamen auch hier Aspekte der Institution zur Verarbeitung, und wir mussten das spezifische Setting innerhalb der Universität beachten. Die Psychodrama-Gruppenarbeit mache ich jeweils mit einer Ko-Therapeutin aus Costa Rica, Kolleginnen, die bei mir ihre Psychodrama-Ausbildung absolviert und die überdies psychoanalytische Erfahrung haben. Damit konnten wir eine Brücke zwischen kubanischen und costaricanischen Kolleginnen bauen, die überaus fruchtbar geworden ist.Ich denke, dass es in diesen Zeiten in erster Linie darum geht, neue Vernetzungen zu schaffen; Nord-Süd-, aber auch vor allem Süd-Süd-Verbindungen zu konstruieren, um der zerstörerischen ökonomischen Globalisierungsstrategie unsere alternative Solidaritäts-Globalisierungsbewegung entgegenzustellen.Wie ersichtlich ist, habe ich meinen Größenphantasien noch nicht abgeschworen, sondern möchte sie weiterhin in den Dienst der Utopie für eine gerechtere Welt stellen. Dabei hege ich die Hoffnung, dass diese Information aus Mittelamerika einige von den Leserlnnen neugierig gemacht hat auf eine mögliche Zusammenarbeit...
ANMERKUNGMeine Dissertation 1994: Mujeres en camino - Frauenleben im politischen Wandel - Eine ethnopsychoanalytische Untersuchung mit Städterinnen und Landarbeiterinnen in Nicaragua. Diese Arbeit wurde von Prof. Dr. G. Schmidtchen von der Universität Zürich mit der Begründung abgelehnt, dass der Begriff »Revolution« nicht wissenschaftlich und das Thema zu politisch sei, abgesehen davon, dass sich Psychoanalyse nicht für sozialpsychologische Untersuchungen eigne. Deshalb reichte ich sie an der Universität Klagenfurt ein und promovierte im Jahre 1994 unter Leitung von Prof. Dr. J. Reichmayr.