von Dr. phil. Ursula Hauser; Psychoanalytikerin; San Jose, Costa Rica
I. Einführung
Ich beschränke mich in meinem Vortrag auf die Arbeit mit politisch organisierten Frauen in El Salvador, die z.T. durch ihre Arbeit in der FMLN extrem traumatisierende Situationen der Folter an sich selber oder an Familienangehörigen erlebt haben. Dies auch als Einführung in das konkrete Frauenprojekt, das ich am Nachmittag vorstellen werde.Selbstverständlich wäre viel zu sagen über traumatisierende Situationen für Frauen in allen zentral-amerikanischen Ländern, da sie einen ähnlichen kulturellen, sozio-politischen und auch historischen Kontext erleben, der Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen gesellschaftlich als 'normal' erklärt, bagatellisiert oder heuchlerisch in verschleiernde Formen der Fürsorge verpackt. In anderen Worten: Inzest, Vergewaltigung, Erniedrigung, Entmündigung, Verachtung; physische und psychische Gewalt an Frauen ist ebenso Teil der machistisch geprägten Realität, wie es die Verleugnung und Unsichtbarmachung der Arbeitskapazität und der kreativen Kraft der Frauen ist. Ich möchte heute keine theoretische Abhandlung über 'Machismos' oder über den Begriff des Traumas geben und hoffe, vermeiden zu können, dass ich in die Rolle der 'Folter-Spezialistin' oder der Trauma-Theoretikerin' gedrängt werde, was einer perversen und zynischen Auszeichnung entsprechen würde, vor allem in Bezug auf die heutige Tagung hier in Zürich, die ja Brücken bauen will und Solidarität verspricht in einem politisch engagierten Zusammenhang, der dem CSS seit seiner Gründung zur Grundlage dient, und der mein persönliches Leben und Arbeiten in Lateinamerika bestimmt.Wir wissen, dass jeder Krieg traumatisierend wirkt und menschliche Spuren bis in die Zweit- und Dritt-Generation hinterlässt. Vor allem sind dies psychische Spuren, psychosomatisch bedingte Krankheiten, früher Tod, Depression, Selbstmord, Beziehungsstörungen und alle Symptome die unter dem Namen des 'post-traumatischen Stress-Syndroms' bekannt sind. Die Frage müsste anders lauten: Ist es möglich, dass Menschen, die jahrelang Krieg mit Mord und Totschlag erlebt haben keine schweren psychischen Schäden aufzeigen? Ist das Grauen, die Gewalterfahrung ohne zerstörerische Auswirkungen auf die menschliche Psyche überhaupt zu überleben? Meine Erfahrung mündet in die Verneinung dieser Fragen, selbst da, wo der Zusammenhang in einer politischen revolutionären Organisation möglich war und wo ein politisches Bewusstsein vorherrschte. Extrem traumatisierende Situationen zielen darauf ab, das psychische Abwehrsystem des Ichs eines Menschen zu zerstören, so dass das Individuum einen Identitäts-Zusammenbruch erlebt, was zu Tod oder schweren Psychosen führen kann. Alle traumatischen Situationen brechen als extreme psychische Belastungen in die individuelle Geschichte ein, nie wieder wird es so sein wie 'vorher'. Es gibt ein 'vorher1 und ein 'nachher', die Lebensgeschichte - auch wenn sie als ein konfliktreicher Prozess verstanden wird - wird durch traumatische Situationen zerstört und gleichzeitig abrupt umgeformt. Das alte Beziehungsnetz fällt zusammen, die psychischen und sozialen Möglichkeiten der Kommunikation werden bis zur totalen Isolierung eingeschränkt. Menschliches Leiden stößt durch Folter, Gefängnis, Exil an seine Grenzen. Es ist keine Konfliktsituation, die gelöst werden könnte, kommunizierbar wäre; die Existenz hängt zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Schreien und Schweigen, zwischen Wut und Hass, Leben und Tod. Die Entfesselung von Hass- und Rachegefühlen lassen Menschen zu Monstern werden, was heute nicht mehr zu verleugnen ist. 'Wer Folter erlebt hat, kann nie mehr heimisch werden in dieser Welt' sagte ein Überlebender des Holocaust.Wie viel Angst, Schmerzen, Ohnmacht und Wut kann ein Mann, kann eine Frau ertragen? Wie kommt es, dass der eine überlebt, die andere stirbt in derselben Situation? Welches sind spezifische traumatische Situationen für Frauen? Und wo setzen die Strategien der weiblichen Identitäts-Zerstörung ein?Die Familie, der 'mächtige Ort der Frauen' als Mütter, ist in Zentralamerika zumeist, und oft ausschließlich, frauengeprägt. Die Männer sind da ebenso marginalisiert, wie es die Frauen von der öffentlichen Macht sind. Großmütter, Mütter, Tanten, Cousinen, Schwestern und weibliche Angestellte ziehen gemeinsam die Kinder auf und ernähren die Familien. Auf ihnen lastet der ganze Druck der existenziellen menschlichen Versorgung, ihre Präsenz prägt die Kinder ebenso wie die Absenz der Väter und Männer. In Krisenzeiten wird der Druck stärker, weil zuerst die Frauen am Arbeitsplatz entlassen werden, was neue Abhängigkeiten und Probleme schafft. Prostitution, auch von Kindern, ist oft der einzige Ausweg vor Hunger und Tod; vermehrt gibt es Kindermörderinnen. Die zentrale Stellung der Frauen in der Familie, und ihre Macht als Sozialisations-Agentinnen münden in das fatale Beziehungsmuster der Ambivalenz- und Abhängigkeits-Dynamik ein. Die Beziehung zur Mutter oder zur Großmutter ist für beide Geschlechter von der Kindheit her geprägt von Liebe und Hass, von Macht und Ohnmacht, von Konflikten um Abhängigkeit und Autonomiestreben, von Identifikation und Trennung. Die Frauen werden in dieser Rolle verantwortlich gemacht für das Wohl der Familie und verinnerlichen von klein auf dieses gesellschaftliche Mandat als 'natürliches' Schicksal. Und die katholische Kirche tut das ihrige dazu, die Last der vielen Kinder als Geschenk Gottes darzustellen, die Arbeit als Lohn, das Leiden als Lust, und Gewalt als Schicksal zu vertuschen. Die Frauen haben kein Recht auf Selbstbestimmung, auf ihre Sexualität, auf ihren Bildungshunger, auf ihre Unabhängigkeit. Ihre Persönlichkeitsstruktur wird in der frauenspezifischen Sozialisation geprägt von der Verdrängung sexueller und aggressiver Triebimpulse, Schuld und Schamgefühle machen sich manifest in Form von Selbstbestrafungs-Tendenzen, Minderwertigkeitsgefühlen, Selbsterniedrigung.Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Weshalb können die Frauen ihre Stärke und ihre Fähigkeiten nicht zeigen und verteidigen?In der Folter sind die Peiniger Männer, die Opfer Frauen. Gewalt an Frauen zielt meistens auf ihre Sexualität ab. Die unterdrückte Sexualität nimmt sadistische und perverse Formen an, geschützt durch die Uniform der Soldaten oder die Privatsphäre der Familie. Soll Rache genommen werden an den starken Müttern? Müssen die Frauen - und immer auch die Kinder - herhalten, weil gegen die unterdrückende dominierende Macht im sozialen, politischen Feld nicht rebelliert werden kann?Frauen sind verwundbar in ihrer Intimität, ihrer Sexualität und in der Mutterschaft. Erniedrigung, Demütigung wird mit Waffengewalt als äußere Überlegenheit erzwungen, die innere Abhängigkeit kompensiert. Der viel gehörte Spruch, selbst von Richtern: 'Es sind ja doch alles nur Huren', oder 'sie hat die Vergewaltigung selber provoziert', zeigen den versteckten Frauenhass offen auf. Auch im meistgehörten Fluch- und Schimpfwort; 'hijo/hija de puta1 (Hurensohn/-tochter) erkennen wir die Verachtung, die sich nicht nur bei Polizei und Militärs, sondern leider auch in den Reihen der 'eigenen Compañeros' eingenistet hat. Ebenso wie das Schweigen, Dulden, Verzeihen die typischen Reaktionsmuster der Frauen sind. Die Sozialisierung zielt darauf hin, dass die Frau für andere lebt und arbeitet, ohne an sich selber zu denken. Deshalb nimmt sie auch des anderen Schuld ab, lastet sich selber die Verantwortung auf, nimmt den anderen in Schutz, ängstigt sich vor ihrer eigenen Wut und ihren Wünschen, delegiert die Aggressionen an das männliche Geschlecht, lässt sich fremdbestimmen und ist ihrem eigenen Geschlecht gegenüber oft feindlich eingestellt.
Zusammenfassend müssen wir aus dieser Einleitung den Schluss ziehen, dass 'traumatische Situationen1 für Frauen in Zentralamerika Teil des 'normalen' Alltags sind und diesen nur auf dramatische Weise verschärfen. Frausein bedeutet im sozio-kulturellen Kontext der momentanen politischen Verhältnisse:- minderwertig zu sein- ausgebeutet sein- unsichtbar gemacht im öffentlich politischen und kulturellen Machtbereich- mit Gewalt der männlichen Ordnung des Machismos untergeordnet sein- als Gratisarbeiterin ausgenützt in der Familie und marginal angesiedelt im Produktionsprozess, ohne legalen Schutz als Arbeiterin- gedemütigt im Recht auf die Bestimmung über ihren eigenen Körper (Abtreibung bleibt illegal, selbst bei Vergewaltigung)- 'innerlich kolonialisiert' durch die katholische Kirche- entfremdet ihrer Sexualität und kreativen Energie- infantilisiert, pathologisiert und kriminalisiert, wenn sie diese Schranken durchbrechen will - Gewalt an Frauen ist normal, Straffreiheit für Vergewaltiger ebenfalls; und- mit den neuen Amnestie-Gesetzen für die Militärs - ist auch Straffreiheit für Folterer legalisiert.
II. Was tun?
Wir wissen: wo Unterdrückung ist, ist auch ein latenter Widerstand. Auch die Politiker der Postmoderne wissen das, und außerdem sind sie auf die Mitarbeit und die Identifizierung der Frauen mit ihrem neoliberalen Programm angewiesen. Zum Beispiel werden die Frauen als 'treibende Kraft' in die so genannte 'Entwicklungspolitik' der bürgerlichen Pseudodemokratien eingespannt, was einer zynischen Lüge gleichkommt, da kein einziges Land der 'südlichen Welt1 sich in diesen Zeiten 'entwickeln' kann, es sei denn weiterhin zu Gunsten der reichen Länder. Die Internationale Finanzpolitik, unter anderem der Weltbank, sowie der Vatikan (Opus Dei) fördern frauenspezifische Programme, die ihrem Zwecke nach aber die traditionelle Rolle der Frauen unterstützen, weiterhin arbeitsausbeuterisch funktionieren (Maquilas) und außerdem die Organisierung der Frauen an der Basis kontrollieren und schwächen wollen (Mikro-Projekte). Leider wurden in den letzten 10 Jahren auch große Teile der Frauenbewegung von diese Politik vereinnahmt, wodurch das subversive Potential feministischer Arbeit geschwächt wurde. 'Das persönliche ist politisch', die alte Devise der internationalen Frauenbewegung behält ihre Brisanz in Zentralamerika, besonders dort, wo das patriarchalisch-machistische System auch in den linken revolutionären Organisationen funktioniert hat, auf Kosten der Frauen und ihrer politischen Macht- und Entscheidungsstellungen.Es geht also in erster Linie darum, aufzuzeigen, dass Gewalt gegen Frauen mit ihrer traumatisierenden Konsequenz eine strukturelle Legitimierung erfährt im patriarchalisch-christlichen Gesellschaftssystem, die alle Schichten betrifft, die aber selbstverständlich viel dramatischere Auswirkungen hat bei der Mehrheit der armen Frauen, die schutzlos in einem ihnen feindlich gesinnten Staatssystem leben. Da sie alle aber von ihrer Kindheit an diese Realität verinnerlicht haben, zeigt sich ihre Unterdrückung in der von Staat und Kirche geduldeten Art und Weise, nämlich in unbewusst ausgedrückten Symptomen: psychosomatische Krankheiten, Apathie und Depressionen, in Gewalt gegen Kinder, besonders gegen Mädchen, wodurch der Teufelskreis wieder geschlossen ist. Wenn die Frauen Zugang zur Krankenkasse oder sonst wie Möglichkeiten zur ärztlichen Versorgung haben, werden sie medikamentiert, mit Psychopharmaka voll gestopft von den Ärzten, als Leidende gelobt und gesegnet von den Priestern. Nach ihrer Geschichte und nach ihrem Namen fragt niemand; sie sind nach den Worten einer Frau 'el horno para el pan' (der Ofen für das Brot).Umso weniger können sie sich selber nach ihren Wünschen fragen, denn ihre Lebensgeschichte ist normalerweise von Gewalt und Ausgeschlossen-Sein aus dem politischen und kulturellen Leben gezeichnet, der Analphabetismus ist bei Frauen weitaus größer als bei Männern. Wer bin ich, was will ich? Solche Fragen existieren nicht, außer dort, wo sie auf die Kinder delegiert werden. Frauenleben ist direkt verknüpft mit dem Kampf ums Überleben, Geschichte heißt im Augenblick existieren. Zukunftsperspektiven oder Vergangenheitserlebnisse sind im Schweigen oder Vergessen inhaltslos, die Energie wird von der Sorge um das Weiterleben aufgefressen.Die Politik des Vergessens, der Straffreiheit, wie sie in den letzten Jahren in Lateinamerika eingeführt wurde, zementiert diese Verdrängung und verhindert die aktive Bewusstseinsnahme über den geschichtlichen Kontext, in dem die Frauen ihre Identität bilden. Es ist ihnen auch kein Vergleich möglich, kein Fragen, Hinterfragen, Zweifeln. Wut und Trauer sind eingefroren, wortlos, individualisiert und privatisiert, obwohl tausendfach miterlebt. Erst die Frage nach dem weshalb? kann Gewalt als menschen-gemachtes Handeln, nach menschlichen Ursachen und Konsequenzen kontextualisieren. Die meisten Frauen in Zentralamerika nehmen den Krieg ebenso wie Geburt und Tod als Gottes Gnade und Wille, als Schicksal hin, das nicht hinterfragt werden soll.Diese Haltung gibt im individuellen Leben einen 'sekundären Krankheits-gewinn1: vorerst muss keine Trauerarbeit geleistet werden; die Unmündigkeit verlangt nach keiner Verantwortung, das passive Hinnehmen riskiert kein erneutes Leiden, aber verhindert dieses auch nicht. Die Frage was tun? ist bereits ein Denken, das den meisten Frauen aus äußeren und inneren Gründen verwehrt bleibt. Sie muss also von Außen an sie herangetragen werden, aber wie?Die Frauenorganisation M.A.M. arbeitet seit 5 Jahren intensiv daran, meine Arbeit soll ein Beitrag dazu sein. Ebenfalls ist die kritische Diskussion über die in den letzten Jahren in Lateinamerika und in Europa entstandenen Projekte und Zentren für 'Folteropfer' nötig, über Strategien und Zielvorstellungen ebenso wie über psychotherapeutische Methoden, besonders da, wo anstelle der politisch-ideologischen Reflexion die Illusion einer wissenschaftlich-objektiven humanistischen Arbeit gefördert wird. Allerdings ist dies nicht der Rahmen auf diese Problematik einzugehen, eventuell kann dies am Nachmittag geschehen.
III Psychodrama-Gruppenarbeit in der Frauenorganisation M.A.M. (Melida Anaya Montes) in El Salvador
Im Mittelpunkt der Arbeit steht das subjektive Erleben und Verstehen der eigenen Geschichte durch die psychoanalytisch orientierte Arbeit des ERINNERNS, WIEDERHOLENS und des DURCHARBEITENS.Dies mit der Methode des Psychodramas, wobei sich das Thema einer Frau als PROTAGONISTIN aus dem Gruppenprozess herausschält. Die anderen Gruppenmitglieder sind Teil des Prozesses als Hilfs-Ichs, werden in verschiedene Rollen gewählt oder bleiben im Chor Trägerinnen des kollektiven Gedächtnisses. Alle Frauen nehmen aktiv teil am Geschehen und identifizieren sich je nach ihrer eigenen Geschichte mit dem Thema. Nach jedem Psychodrama, das sich als Stegreif-Theater aus der Arbeit der Protagonistin mit der Psychodrama-Leiterin entwickelt und wichtige Momente der Katharsis, der emotionalen Gefühlsäußerung durchläuft, machen wir zusammen eine Prozessanalyse, damit jede Frau das Erlebnis, und ihren Anteil daran, versteht. Dies ist ein wichtiger Teil der Gruppendynamik, denn im Verbalisieren erst wird der spontane Ablauf der Szenenfolge bewusst und bekommt seinen Sinn im Gruppengespräch. Dann auch wird die latente Gruppendynamik durch die Rollenwahl manifest, was in dieser Gruppe dazu führt, Ansätze einer Organisationsanalyse machen zu können. Das Individuelle wird in den Gruppenkontext gestellt, die eigene Geschichte gliedert sich in die Sozialgeschichte ein und es wird möglich, kulturelle und geschlechtsspezifische Analysen zu machen. Die Psychodrama-Leiterin hat dabei die Rolle einer Katalysatorin; sie versucht, sozusagen als Dramaturgin den Einfällen der Protagonistin zu folgen und ihr zu helfen, sie in Szene zu setzen. Während den kathartischen Momenten bekommt sie eine direkte therapeutische Funktion und gewährt der ganzen Gruppe Möglichkeit zur Gefühlsäußerung und zur spontanen gegenseitigen Unterstützung. Ohne hier im Detail auf die vielschichtige und komplexe Methode des Psychodramas einzugehen, will ich darauf hinweisen, welch wichtige Funktion dabei der Kreativität, des Spiels, der Körperarbeit und des Humors zukommt. Durch den Ablauf des improvisierten Geschehens gibt es immer wieder Augenblicke des gemeinsamen Lachens, des Staunens und der Möglichkeit, Trauer, Wut und Freude zu vermischen, Hass und Liebe nebeneinander zu erleben, Ambivalenzen auszuhalten und als notwendige Widersprüche zu erkennen. Konfliktsituationen werden auf ihrer individuellen biographischen Perspektive neu beleuchtet und bekommen im mitgeteilten Prozess neue Dimensionen. Rigide Haltungen können zum Teil aufgelöst werden, der Rollentausch ermöglicht eine Erweiterung des eigenen Handlungs- und Aktionsbereiches und intensiviert die Identitätsbildung. Frauen bekommen Männerrollen, Mütter werden zu Kindern, Töchter identifizieren sich mit den Großmüttern, Götter und Teufel kommen auf die Bühne und der Mythos des 'Gut und Böse'-Schemas wird aufgebrochen. Im Psychodrama versuchen wir, die Symbolik hinter den Körpersymptomen zu verstehen, die Verbindung herzustellen zwischen Körperausdruck und Sprache. Während des Krieges war es unmöglich, therapeutische Prozesse einzuleiten, es musste geschwiegen, geleugnet, versteckt werden. Das Überleben stand im Vordergrund und forderte seinen Preis im psychischen Leiden und der Isolierung. Jetzt, in der Phase der so genannten Friedenszeit ist es möglich und notwendig, Geschichte aufzuarbeiten und sich gegen das Vergessen zu wehren. Was ist geschehen? Ist präventive Arbeit, auch im politischen Sinne, möglich?Das psychosomatische Symptom, das bei Frauen in Form von körperlichem Leiden im Vordergrund steht, hat seine Sprache und will entschlüsselt werden nach seinem Ursprung und seiner Funktion. Der Körper leidet, damit das Unaussprechbare nicht verbalisiert werden muss. Schamgefühle blockieren das Wort, angelernte Selbstbeschuldigung lässt verstummen, privatisiert Gewalt. Ich leide an meinem Körper und bleibe im Kerker, geschützt bis dahin, wo die Haut die Grenze zum DU, zum WIR, zur WELT bedeutet.Die Frauen leiden an Migräne, Magengeschwüren, Allergien, Menstruationsbeschwerden aller Art. Dahinter verstecken sich lebensgeschichtlich bedingte Depression, Angst, Wut, Rebellion. Frau darf körperlich und psychisch leiden, aber nicht fragen WARUM? Der Wahrheit soll Frau nicht auf die Spur kommen, nur so bleibt sie entfremdet vom Realitäts-Zusammenhang ihrer Geschichte und kann, muss sich dementsprechend auch nicht zum bewussteren Handeln entscheiden. Frauen haben gelernt, auf ihre Umwelt zu re-agieren, aber nicht, sich selber als handelnde Subjekte zu begreifen.Im Psychodrama soll das Versteckte zum Vorschein kommen, das Abgewehrte wird erscheinen als Schreckgespenst, und die Abwehrmechanismen werden dargestellt als Schutzmauern.Welches sind die gefürchteten, schrecklichen Szenen? Hinschauen oder sich abwenden? Die Erfahrung zeigt, dass die traumatischen Erlebnisse zum Vorschein drängen, sie wollen vergessen werden und zwingen doch mit Kraft - eben oftmals durch körperliche Symptome - zur Mitteilung, wollen aus dem Tabu des Geheimnisses entweichen. Dies trifft nicht nur auf extrem-traumatische Erlebnisse im Krieg zu, wir kennen diesen Konflikt im allgegenwärtigen Erleben des neurotischen Leidens, dass 'das Unbehagen in der Kultur' privatisiert, verpönte Gedanken und Gefühle zurückdrängt in schamerfülltes Schweigen, dass das Fremde ausgrenzt und das Eigene idealisiert, das die wahre Geschichte zur akzeptierbaren Legende verwandelt.Das eigene Leiden setzt die Grenze, wo dieses Schweigen nicht mehr ertragbar ist, wo der Schrei befreiend die Stille zerreißen will, wo jene Erfahrungen, die sich in Angst und Entsetzen versteinert haben, erinnert und festgestellt werden wollen. Damit, und weil die damalige Ohnmacht in eigenes Handeln übersetzt werden kann als Protagonistin, wird jenes Tabu, das Komplizenschaft bedeutet mit dem Angreifer, gelüftet, wird Gewalt in den lebensgeschichtlichen Zusammenhang gestellt, und werden eigene Aktionsmöglichkeiten erprobt, die bis anhin verboten waren.Im Psychodrama wird auch die Seite der Folterer, der Lustmörder, des Monströsen elaboriert; es werden demnach die eigenen verdrängten aggressiven Seiten, auch sadistische Impulse, erlebt. Im Rollentausch wird die komplizierte Dynamik zwischen Opfer und Täter durchgearbeitet, und immer wieder wird manifest, wie sehr die aktiven aggressiven Impulse der Frauen, ebenso wie die sexuellen Wünsche, blockiert sind. Wir stützen die Abwehrmechanismen, indem sie von Hilfs-Ichs dargestellt werden, und machen sie zur gleichen Zeit flexibel, weil sie vermenschlicht werden und beweglich sind. Sie helfen, die traumatischen Szenen zu wiederholen, jetzt in einem neuen Kontext, mit Hilfe der ganzen Gruppe, womit das Schreckliche zwar nicht seine Kraft verliert, wodurch aber die Protagonistin und sekundär auch die anderen Frauen die Gewalt-Erfahrung in einen sozialen und geschichtlichen Kontext bringen, der erst die Diskussion erlaubt und damit Denken und Handeln anstelle des ohnmächtigen Ausgeliefertseins ermöglichen. Damit ist noch keine politische Handlung erreicht, der Krieg kann damit nicht verhindert werden, aber die subjektiven Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit der Realität werden vergrößert. Wo Stille, Scham, Depression, Weinen, Zusammenkauern und sich-Verstecken das 'normale' waren, kann im sicheren Rahmen der Gruppenarbeit die abgewehrte Gefühls- und Vorstellungswelt hochkommen. Eingefrorene Energie wird losgelöst, versteinerte Gesichter können ihren Hass und ihre Trauer zeigen, in den kathartischen Erfahrungen werden Emotionen bewusst, die im Krieg oder schon vorher als Kind und als adoleszentes Mädchen verdrängt werden mussten. Die Hilfs-Ichs und die Therapeutin helfen dabei, das Szenarium des Intimbereichs zu erforschen, um neue Wege zu suchen, um alte Muster zu durchbrechen.Wichtig erscheint mir, die aktuellen Traumen der Kriegserfahrung in den Lebenszusammenhang zu stellen, damit die Frauen ihre Geschichte als Kontinuität erleben und sich selber in ihrer einzigartigen Identität erfahren können. Das Ziel der therapeutischen Arbeit ist es unter anderem, ihre Neugier über sich selber zu wecken, ihre eigene Frauengeschichte in den sozio-kulturellen Zusammenhang zu stellen, sie mit derjenigen ihrer Mutter, der Großmutter, der salvadorenischen Geschichte zu verbinden. Im Gruppenprozess wird das Einmalige als Teil der Vielfalt der Frauenleben erfahren, und zugleich wird das Bewusstsein über die gemeinsam geteilte, mit-geteilte Geschichte der salvadorenischen Frauen erarbeitet.Wo vorher bereits jahrzehntelange politische Erfahrung und sozialer Kampf existiert hat, wird durch diese Gruppenerfahrung noch eine neue Dimension eröffnet, diejenige der komplizierten subjektiven Welt, die es ermöglicht, selbst heute in der hoch technologisierten Realität Geschichte immer wieder als von Menschen gemachte soziale Kämpfe und Erlebnisse zu erfahren, und nicht als vorgegebenes 'Schicksal' passiv zu erleiden. Diese Erkenntnis macht das Leben nicht leichter, ist aber notwendige Voraussetzung für feministische politische Arbeit, die die Veränderung der sozialen Ungerechtigkeit zugunsten einer menschlicheren Gesellschaft nicht nur auf die ökonomischen Verhältnisse reduziert und die politische Organisation nicht als starre Institution akzeptiert.Jede Frau soll sich immer mehr als wichtiger Teil derselben erkennen und das eigene Leben als Protagonistin ihrer konkreten Realität, die veränderbar ist, verstehen. Im Psychodrama erkennen wir, dass psychosomatische Symptome verschwinden und auftauchen können, wenn wir sie in den lebensgeschichtlichen Kontext, und in die psychische Dynamik von Unbewusstem und Bewusstsein stellen können. Das sind die Hoffnungsschimmer, die uns dabei helfen, gegen die Strategie der äußeren dominierenden Mächte, die menschliches Leiden als biologisch oder genetisch zu definieren versuchen, und die das Vergessen propagieren, anzukämpfen. Diese erlösenden Erfahrungen helfen aber auch dabei, die inneren psychischen Mächte zu erkennen, die sich gegen Veränderung sträuben und die in Abhängigkeitsmustern verharren wollen.
IV. Zum Abschluss
Wir versuchen auf Seiten der Menschlichkeit zu stehen und müssen deshalb die Unmenschlichkeit, so weit als möglich, zu verstehen suchen. In unserer politischen psychoanalytischen Arbeit geht es darum, im emotional mit-geteilten Prozess Geschichte aufzuarbeiten, und die blinden Flecken, Tabus, Geheimnisse, verdrängten Situationen zu erinnern, damit sie in Worte gefasst, in den sozialen Kontext gestellt werden können. Keine Wirklichkeit ist so schlimm, keine Wahrheit so schrecklich wie die Gespenster des Zweifels, der Ungewissheit, des Unsichtbargemachten, des Verschwundenen und Vergessenen. Wenn traumatische Situationen als Teil der Lebensgeschichte und - im Gruppenprozess - als Teil der sozialen und politischen Geschichte integriert werden können, bekommt das Leiden einen anderen Sinn. Erst dann kann echte Widerstands-Energie entstehen, denn auch im Helden- und Martyrerkult versteinert sich die Dynamik und besteht die Gefahr, auf linker Seite anstelle der menschlichen Kommunikation und Diskussion Fetische und Mythen zu erstellen. Im Erinnern liegt der Keim des Nicht-Wiederholen-Wollens. Wenn das Grauen und das Entsetzen, wie es sich in die individuelle Geschichte eingekrustet hat, im neuen Kontext durchlebt wird, macht es Wege offen für TRAUERARBEIT, kann die TODES-Angst mitgeteilt und akzeptiert werden.Im Gruppenprozess wird zugehört, mitgeteilt, gelacht und gelitten. Die Protagonistinnen, von der Gruppe gewählte 'emergents', machen etwas deutlich durch ihr subjektiv-individuelles Psychodrama, was alle anderen Frauen auch angeht.Frausein, Frau werden in El Salvador ist ein Prozess intensivster dramatischer Konflikte, durchsetzt mit traumatischen Situationen. Der spezifisch soziale und geschichtliche Kontext, worin sich eine menschliche Situation zum Trauma verdichtet, muss analysiert und verstanden werden. Diesen Bewusstwerdungs-Prozess, der zur möglichen Vertiefung des politischen Engagements führen kann, nennen wir in Lateinamerika 'CONCIENTIZACION', und damit ist vor allem Basisarbeit gemeint mit Frauen, die zum großen Teil erst durch die revolutionäre Arbeit des FMLN alphabetisiert wurden, und die weder zu wissenschaftlichen noch zu therapeutischen Institutionen Zugang haben. Andererseits sind sie es, die durch ihre zentrale Stellung im sozialen Netz und als Mütter eine ungeheure Macht haben, die Trägerinnen des kulturellen Erbes sind und somit auch mögliche Promotorinnen sozialen Wandels. Zum Glück haben sie erkannt, dass ihre Arbeit mit den anderen Frauen erst dann einen neuen Sinn bekommt, wenn sie sich selber diesen Prozess gönnen, wenn sie sich Zeit und Raum geben, ihre eigene Geschichte wahrzunehmen. Nur so können alte Fehler in der politischen Arbeit vermieden werden, als 'Avantgarde1 zu funktionieren und unbewusst hierarchisch autoritäre Strukturen zu wiederholen. Auch hier gilt es wieder, äußere Feinde und innere Widerstände zu überwinden, um dieser Einsicht nachzugeben und Größenphantasien, vermischt mit Leistungsdruck und realen Sachzwängen, zu bekämpfen.