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URUGUAY – NUNCA MÁS - NIE WIEDER!

Die Spuren der Diktatur in der dritten Generation.

Eine Forschungsarbeit mit Psychodrama

 

Ursula Hauser (San José/Costa Rica – 9731 km)

Obwohl schon in den 70-er Jahren ein reger Austausch von uns Zürcher PsychoanalyitkerInnen und den österreichischen KollegInnen bestand, sind für mich die letzten 30 Jahre doch besonders wichtig: unser ‚Brüggli‘ – ein Ausdruck, den Karl Fallend für unsere internationalen Freundschaftsbeziehungen geprägt hat – wurde durch meine ungeplante Migration nach Zentralamerika besonders stark.

Die freundschaftlichen Besuche der europäischen KollegInnen in Nicaragua und später in Costa Rica benutzten wir, um – neben den genüsslichen Parrillas, politischen Diskussionen und dem Strandleben in Palo Seco, unsere psychoanalytischen Tätigkeiten auszutauschen und die Organisation ASPAS (Associacion de psicoanalisis critico social: www.aspascostarica.org), zu stärken.

Durch meinen Lebenspartner Antonio Grieco, ein uruguayischer Tupamaro, wurde ‚das Brüggli‘ weiter nach Südamerika gespannt, wo mein neues Forschungsprojekt angesiedelt ist, das ich hier vorstelle.

Vor 41 Jahren erlitt Uruguay den Militärputsch, der ´die Schweiz von Südamerika´ in ein verarmtes Land mit einem traumatisierten Volk verwandelte.

Die 13jährige Militärdiktatur zerstörte beziehungsweise zerstreute Familien und soziale Netzwerke in alle möglichen Länder.

Bereits vor dem Militärputsch in den 1960er Jahren hatten die Tupamaros die Ausbeutung der armen Schichten durch die reichen oligarchischen Machthaber der beiden grossen Parteien - ‚Blancos‘ und ‚Colorados‘ – mit spektakulären Aktionen aufgezeigt, z.B. der von Raúl Sendic organisierte Zuckerrohrarbeiter-Marsch in die Hauptstadt Montevideo.

Die ökonomische Krise der 1960-er Jahre führte zur Gründung der grössten und überparteilichen Gewerkschaft, die PIT-CNT, die als Vorläuferin der 1971 gegründeten Frente Amplio gilt.

Heute stellen die Tupamaros die Regierung! Die ehemaligen als Terroristen denunzierten AktivistInnen genießen in Lateinamerika und Europa einen guten Ruf.

Dies gilt vor allem für den Staatspräsidenten Pépe Mujica, der nach 13 Jahren Gefängnis ungebrochen seine revolutionäre Ideen und seine bescheidene Lebensweise weiter verfolgt.

In diesem Kontext, verstärkt durch die persönliche Verstrickung durch Antonio und weil wir gemeinsam die Tupamaros unterstützten, siedelte ich mein neues Projekt in Uruguay an. Antonio verstarb leider bereits 1996 an einem Herzinfarkt, das heißt an den nachträglichen Folgen der Folter, die er im Gefängnis zwar überlebte, die aber Spuren hinterliessen. 1981 lernte ich ihn, der in den langen Jahren des Exils, immer Internationalist und politischer Kämpfer blieb, in Nicaragua kennen. Liebe und Revolution haben mich zu einer Migrantin gemacht und mit Uruguay auf spezielle Art verbunden.

Den Anstoß gab ein Traum vor drei Jahren:

„Ich sitze auf dem Rand eines Bootes, bereit zum Tauchen, mit den Pressluft-Flaschen auf dem Rücken (so wie ich es in Kuba gelernt habe). Antonio taucht auf und fragt mich: wie geht Deine Forschung? (ich weiss sofort, wovon er redet: Die Spuren der Diktatur in der dritten Generation) Ich sage: alles geht gut, aber ich habe eine Frage: soll ich nur mit den Enkelkindern der Linken arbeiten, oder auch mit Nachkommen der Militärs? Antonio antwortet: mach die Forschung so breit als möglich!“

 

Als ich erwachte, begann ich an diesem Projekt zu schreiben, das ich im letzten Mai begonnen habe und nun weiterführe.

Auch nachdem die Militärdiktatur 1985 in Uruguay endete, blieben Antonio und ich in Costa Rica, im verlängerten Exil, da 1987 durch einen Volksentscheid das Gesetz zur Straflosigkeit der Folterer in Kraft trat. „Vergessen und Verdrängen“ war die Devise und ist es bis heute. Obwohl einige der hauptverantwortlichen Generäle inhaftiert wurden, gilt das Gesetz immer noch. Folterer und ihre Opfer leben potentiell Tür an Tür.

Antonio musste das erleben. Während einem seiner Besuche sprach ihn im Bus einer seiner Peiniger an, „Grieco, kennst du mich noch?“ und suchte ihm die die Hand zu reichen. Damit war entschieden, ein Leben für ihn war in Uruguay unmöglich.

Ich bedauerte diese Entscheidung sehr. Hatte ich mich doch mit psychoanalytischen KollegInnen vom Cono Sur (Argentinien, Uruguay, Chile), die ich von der Plataforma Internacional (1969-89) her kannte, an konkreten Plänen gearbeitet, wie z.B. ein Universitäts-Curriculum, in dem der Psychoanalyse und den Gruppenmethoden ‚ Grupo operativo‘ und Psychodrama ein besonderer Platz eingeräumt wurde. Aber ich respektierte Antonios Entschluss. In der Folge verwirklichten wir in den 1980er Jahren von Costa Rica aus viele Projekte, sowohl im politischen wie auch im beruflichen Feld, war es in Kuba, El Salvador, Nicaragua oder Guatemala.

Nun besuchten uns auch zwei seiner vier EnkelInnen. Wir mussten erkennen, dass sie nichts über die Geschichte von Antonio wussten, was ihn sehr schmerzte. Antonio’s Sohn, der 13 gewesen war als sein Vater ins Gefängnis kam, konnte den Verlust und die Misshandlungen seiner Mutter durch Militärs nie verwinden. Auch selbst musste er wöchentlich ins Hauptquartier und wurde verhört: ‚Was machte Dein Vater, wer sind seine Freunde?‘ Anstelle einer glücklichen Adoleszenz lebte er, wie tausende von Söhnen und Töchtern der kämpfenden Guerilla, mit Angst, Wut und Unverständnis gegenüber den Gründen für die Verfolgung und die Trennung von seinem Vater.

Erst viele Jahre später konnten sich Sohn und Vater wieder treffen, im Kontext von Exil und in Klandestinität, also weit von einer befriedigenden Kommunikationssituation entfernt. Der Sohn beschuldigte den Vater mit der ‚verdammten Politik‘ sein Leben zerstört zu haben und Antonio versuchte ihm seine Beweggründe dafür zu erklären, eine gerechtere Welt und eine bessere Zukunft. Beide dünnhäutig haben sehr gelitten. Später versuchte ich zu vermitteln, allerdings vergeblich. Bis zu seinem Tod hörte er nur die Schuldzuweisung des Sohnes - ein grosser Schmerz im Leben meines Liebsten.

Natürlich teilte ich seinen Schmerz, verstand die Reaktionen und erkannte einmal mehr, dass Krieg, Terror, Abbruch der Kommunikation und Schweigen menschliche Beziehungen zerstören, Wunden zufügen und verhindern, dass gegenseitiges Verstehen möglich wird. Ich fühlte mich hilflos, einsam und wütend an der Seite von Antonio, der niemals in die Opferrolle schlüpfte, aber es doch im doppelten Sinne blieb: Opfer des Staatsterrorismus und Opfer des Hasses seines Sohnes.

Dies ist meine Vorgeschichte, die den Traum und mein Projekt mit der dritten Generation verständlich machen soll. An den in Psychodrama-Gruppen strukturierten Forschungsprozess sind neben zwei Enkeln von Antonio, Emiliano und Analia, weitere 15 junge Menschen aus Maldonado, der Heimatstadt von Antonio beteiligt.

Meine zentralen Fragen dabei sind: Stimmt es, dass diese junge Generation gleichgültig und uninteressiert ist an der Geschichte ihrer Familie, und speziell über die Zeit der Militärdiktatur nichts wissen wollen? Was können die jungen Menschen in Uruguay zwischen 16 Jahren und 27 Jahren erinnern, wie stellen sie sich diese Zeit vor?

 

Der Beginn der Forschungsarbeit im Mai 2013

 

Als ich Emiliano fragte, ob er eine Gruppe von FreundInnen und Bekannten für diese Psychodrama Workshops organisieren könne, stellte er mir dieselbe Frage wie ich im Traum Antonio: soll ich nur in den Reihen der Frente Amplio suchen, oder auch EnkelInnen der Militärs? So breit als möglich, war meine Antwort. Allerdings bekannte er mir kurz darauf, dass es ihm unmöglich sei, auch auf der Seite der Militärs Kontakte zu suchen!

Wichtig in der Vorbereitung der Arbeit war Emilianos Mutter. Antonio hatte die Gewerkschafterin des Lehrer- und Magistratgremiums, die schon lange geschieden lebt sehr gern gehabt und sie ihn auch. Nun nach vielen Jahren als Geschichtsprofessorin in der Mittelschule pensioniert, ist sie für das Kulturzentrum von Maldonado verantwortlich und fungierte als Distributorin meiner Projektidee. Erstaunt genoss ich den herzlichen Empfang und das weitgestreute Interesse an dem Vorhaben, von verschiedensten Gruppen im Menschenrechtsbereich ebenso wie in politischen Gremien. Das war nicht immer so. Ich verstand das Misstrauen als Reaktion auf das 15-jährige Verbot während der Militärdiktatur, über die Tupamaros und politische Themen zu sprechen; aber auch als Weigerung, die Zeit des Terrors und der Traumas zu erinnern und durchzuarbeiten, die Wunden, Schmerzen und Verluste zu thematisieren und zu beweinen. Alle in Uruguay, auch die linken companeras/os, wollten vergessen!

Aber nun, nach 40 Jahren schien alles anders: Selbst die alten Kommunisten öffneten mir die Türen, auch sie wollten reden, das Schweigen brechen! Die Delegierte der weiblichen Ex-Gefangenen der Tupamaras gestand, dass sie in der Familie nie von ihrem Leben und ihrer Geschichte gesprochen habe, schon gar nicht über die erlittenen Folterungen! Der Hauptgrund für diese neue Offenheit scheint in der neuen Regierung zu liegen - Tupamaros in demokratischen Wahlen gewählt.

Im Stadthaus von Maldonado veranstaltete ich in Folge mit offizieller Unterstützung seitens der Regierung zweitägige Workshops mit der Methode des Psychodrama.

Die Resultate waren erstaunlich:

 

  • Alle Beteiligten wollten weitermachen und mehr von Psychodrama und ihrer eigenen Geschichte wissen.

  • Die meisten erkannten, dass sie durch das Schweigen in ihren Familien keinen Zugang zur Familien- und uruguayischen Geschichte hatten, und dass sie erst jetzt die Überlebenden das Bedürfnis verspürten, fragen zu wollen.

  • Viele konnten ihre körperlichen Beschwerden als psychosomatische Symptome und von ihren Eltern und Grosseltern übertragenes Leiden erkennen Z.B. verschwanden chronische Rückenschmerzen einer jungen Frau, die nie über den frühen Tod ihres Vaters in der Gefangenschaft weinen hatte können, als sie während der Gruppenarbeit in Tränen ausbrach. Alle möchten, dass in ganz Uruguay solche Workshops durchgeführt werden, und eine neue Art von subjektiver Geschichtsaufarbeitung im grossen Rahmen entsteht!

  • Ein grosser Teil der Gruppe sind FreundInnen geworden und haben verschiedene Aktivitäten im Bereich der Menschenrechtskommission organisiert, einer der jungen Männer hat eine regelmässige Radiosendung vom Samstagmorgen, mit dem Namen: VOCES (Stimmen) initiiert.

  • Alle unterstützen mein Projekt, an der Universität in Montevideo, zusammen mit anderen PsychodramatikerInnen, ein Masterprogramm Memoria y Psicodrama nach kubanischemVorbild aufzubauen (seit 6 Jahren existiert an der Universität von La Havanna die Maestria de Psicodrama y Procesos Grupales).

 

Diese Forschungsarbeit hat auch mich selbst emotional sehr mitgenommen: einerseits voller Glück über die erreichten Ziele, andererseits voller Trauer, dass Antonio das nicht erleben konnte. Auch die Frage im Traum, dieselbe die auch Emiliano stellte, löste sich auf: ohne es zu wissen, war die Tochter eines Folterers Teil der Gruppe, die in der Menschenrechtskommission engagiert ist.

Nach dem Workshop hatte sie mit ihrem Vater geredet, dieser jedoch kein Wort gesagt. Daraufhin informierte sie sich bei anderen Verwandten und erfuhr, dass: er nicht nur Soldat, sondern aktiver Folterer war, mitbeteiligt am Tod von zwei Tupamaros der Gegend Als wir bereits eine Vertrauensbasis aufgebaut hatten, ‚gestand‘ sie, dass ihr Vater ein ‚Milico‘ sei, jetzt pensioniert, aber jedenfalls auf der ‚anderen Seite‘ gestanden hätte. Zuerst reagierten alle, auch ich, überrascht, dann umarmten sie die Kollegin und meinten, es könne ja niemand was für die Taten der Eltern. Es scheint, dass nach 40 Jahren die Widerstände überwunden werden können, von der eigenen Geschichte ausgehend, werden die jungen Leute durch eine solche Arbeit zu ProtagonistInnen, die ihre Wurzeln und ihre Subjektivität suchen und aktiv damit umgehen wollen. Früher schale Begriffe wie Golpe de Estado (Militärputsch) oder Estado de Sitio (Ausgangsverbot) wurden durch die Inszenierung im Psychodrama lebendig, die Jungen kamen ihren Grosseltern näher, begannen zu verstehen. Viele fragten sich: weshalb habe ich nicht früher gesucht, gefragt?

Das bedeutet, der Augenblick ist gekommen, wo politische Psychologie, im Besonderen psychoanalytisches Psychodrama, einen wichtigen gesellschaftspolitischen Stellenwert bekommen könnte - nicht nur in Uruguay. Sei es in Chile, in Argentinien, in Brasilien - überall löst das Projekt Interesse aus. Dementsprechend gehen meine Gedanken in die Richtung, das vor 3 Jahren in Kuba gegründete Netzwerk Psicodrama SUR-SUR (das auch Palästina einschliesst), zu aktivieren und ein internationales Projekt daraus zu entwickeln. Ob die Universitäten für das geplante Master Programm: Memoria y Psicodrama (Gedächtnis und Psychodrama) zu gewinnen sind, wird sich in nächster Zeit zeigen.

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