In diesem Versuch, einige Diskussionsanregungen zur komplexen thematisierten Problematik zu formulieren, beziehe ich mich auf die juengsten Erfahrungen von Uruguayaner/innen und Argentinier/innen, die wahrend den letzten 2 Jahren von dieser Situation betroffen wurden; zum Thema des Exils auch auf die Arbeit von chilenischen Psychologinnen, die in Frankreich selber dieses Schicksal erleiden.Vorerst mochte ich betonen, dass es ein grosser Fehler ware, das Exil und dementsprechend auch das Desexil zu psychologisieren oder gar zu pathologisieren; grundsatzlich bleiben diese Si-tuationen auferzwungene politische Lebensbedin-gungen, Resultat von Unterdriickung und Verfol-gung und historisch unausweichliche Etappen je-der Oppositionsgruppe, die nicht im Gefangnis er-mordet oder in die Klandestinitat untergetaucht ist. In diesem Sinne ist das Exil ein kollektives Schicksal fiir ein klassenbedingtes Ziel, und des-halb mussen die Folgen in erster Linie aus politi-scher und sozialpsychologischer Sicht analysiert werden. Zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgte fur das Individuum als Strafe fur seine oppositio-nelle Haltung dem herrschenden Regime gegenii-ber die Ausweisung aus dem Heimatland, verbun-den mit dem Verbot, friiher als bewilligt zuriickzu-kehren, und damit begann auch das individuelle Trauma. Im Unterschied zur Emigration, die aus individuell-okonomischen Griinden erfolgt, ist das Exil ein kollektiver politischer Prozess mit ei-ner zeitlich beschrankten, aber unsicheren Dauer.Prinzipiell denke ich, dass fiir die Probleme des Exils keine psychologische Therapie "erfolg-reich" sein kann, die nicht den spezifischen histo-rischen und politischen Hintergrund - die Voraus-setzungen und Ursache des Exils - miteinbezieht.Es kommen also einige Variablen mehr in die psychologische Diskussion und in die thera-peutische Situation, als dies der Fall ist bei nicht-exilierten Leuten. Unter anderem ist zu beriicksich-tigen, dass der Gruppenzusammenhang zwischen den Exilierten mehr als eine "normal" iibliche Bc-deutung hat; die Gruppe ist Reprasentant des Hei-matlandes und eminent wichtig fur die Identitats-behauptung der Individuen. Sie sollte nicht nur psychodynamisch angesprochen werden, z.B. in ihren regressiven Funktionen, als unterdriickende Mutterreprasentanz etc., sondern ebenso in ihrer realen konkreten, sozusagen ethnologischen Bedeu-tung. Eine Besonderheit der Exiliertengruppen ist der standige Wechsel ihrer Mitglieder; entspre-chend der politischen Situation im Heimatland kommen neue Leute hinzu, andere gehen, es gibt keine zeitliche Stabilitat. Dieses Bewegung hat meiner Ansicht nach vorwiegend eine progressive Funktion: standiger Informationszuschub, Aus-tausch von Erfahrungen mit Gruppen in anderen Landern; Neugier und Hoffnung werden geweckt, Apathie und Depression gemindert.Im psychologischen Sinne und fiir den Einzel-fall kann diese Unstabilitat aber auch negative Folgen haben. Das grosste Problem scheint dasje-nige der Schuld zu sein; schuldig fiihlen sich dieje-nigen, die bereits langer im neuen Land sind (und sich mehr oder minder angepasst haben), den Neu-ankommlingen gegeniiber, und schuldig fiihlen sich fast alle den companeros/as gegeniiber, die nicht im Exil sind. Oftmals kommen iiberdies die Neuen mit Anklagen und Uberich-Einstellungen dieser Tendenz entgegen und bezichtigen die "Al-ten" als Opportunisten und Verrater. Selbst wenn dem so ware, geht es in erster Linie darum, die Strategic des Regimes zu analysieren, welche da-rin besteht, die Opposition im Exil zu schwachen und zu zersplittern.Nebst der Schuld ist das wichtigste psychologische Problem, das alle im Exil betrifft, dasje-nige der Trauer und des Verlustes. Es ist nicht nur die zeitlich bedingte Trennung von den Angehori-gen und der Heimat, es ist der reale Verlust vieler Freunde, der verarbeitet werden muss. Dies er-schwert natiirlich die notwendigen existentiellen Anpassungsleistungen, die die Exilierten machen59JOURNALmussen (Arbeit suchen, die neuen Sprachen lernen, den Kulturschock iiberwinden, Wohnung suchen, Aggressionen und Fremdenhass abwehren, um nur einige davon zu nennen). Im individualpsychologi-schen Bereich ergeben sich als haufigste Abwehr-mechanismen des Traumas die bekannten Formen der Isolierung und Abspaltung (Abkapselung in die Gruppe, Autismus, Zuriickweisen der neuen Um-gebung), Idealisierung der Heimat, Entwertung des neuen Landes, Agieren (meist im politischen Feld), paranoide Reaktionen (nebst dem adaqua-ten Bewusstsein der politischen Kontrolle), De-pressionen und Melancholic bis zu Selbstmord.Grundsatzlich stellt sich die Frage nach der Kanalisation der aufgestauten Aggression. Dass es sich um berechtigte Gefuhle der Wut und des Hasses handelt, bestreitet wahrscheinlich nur der Aggressor selber, in unserem Fall die ver-gangenen Militarregimes und ihre Komplizen in der gegenwartigen Regierung. Allzugern mochte die Reaktion ihre Gegner als neurotische "Ele-mente" neutralisieren, in psychiatrische Kliniken verstauen oder in Verhaltenstherapien sozial an-passen, d.h. ihnen den Mund stopfen und die Forde-rung nach Gerechtigkeit verstummen lassen. Im Ge-gensatz dazu geht es darum, diese Emotionen in ih-rem progress!ven Kern lebendig zu erhalten und zu politisieren, zu "kollektivisieren". Hierbei ist fiir das Individuum naturlich seine politsche Ideolo-gie und seine Zugehorigkeit zu einer Organisation, die Zukunftperspektiven erarbeiten und die vergangenen Erfahrungen analysieren kann, von entscheidender Bedeutung. Selbstverstandlich meine ich damit nicht, dass politische Aktivitat sozusagen eine Garantie gegen psychisches Leiden ware, oder dass eine Einsicht in dem gesamtpoliti-schen Zusammenhang des Exils psychologische Probleme ersparen wurde. Sicher zeigen aber die Erfahrungen, dass eine enge Interdependenz zwi-schen dem Grad des politischen Bewusstseins und der Reaktion auf die individuellen Probleme im Exil besteht. Dies wissen naturlich auch diejeni-gen Herrschaftsfunktionare, die die politische Opposition annullieren wollen. So wie auf brutale direkte Weise ein grosser Teil der Linken in La-teinamerika umgebracht oder durch die Folter schwer geschadigt wurde, so soil auch der exi-lierte Teil auf "sanfte" Art und Weise politisch beseitigt werden. Wir konnten den psychologi-schen Aspekt des Fluchtlingswesens und der Asyl-/Exilpolitik, wie sie in den meisten Landern geplant wird, unter dem Blickpunkt der repressi-ven Toleranz verstehen, und wir kennen nur allzu gut ihre Auswirkungen: Dankbarkeit wird gefor-dert, Kampflust geschwacht, wenn nicht krimina-lisiert. Dazu kommt die Verfiihrung der hochent-wickelten Konsumwelt, die regressive Tendenzen fordert und Kompensationen aller Art anbietet, vor allem fiir die Menschen aus sogenannten Dritt-welt-Landern. Und bekannterweise sind es ja die reichen Lander, eben gerade diejenigen, die ihren Wohlstand der Ausbeutung der Drittweltlander verdanken, die Refugium anbieten!Im Individuum soil Verwirrung gestiftet werden, die existentiellen Bedurfnisse und die Vergangenheit sollen vergessen werden, soziale Hilfe wird als Versohnung und als Erpressung an-geboten und kann im Einzelfall eine "Double-bind" Situation und den Zerfall der psychologi-schen Integritat des Individuums herbeifuhren.Es gabe hier viel zu diskutieren, fur dies-mal sei noch ein Ausspruch eines Uruguayaners zi-tiert: Lieber hungrig und mit falschen Papieren auf der Flucht sein als in die Abhangigkeit des So-zialfiirsorgestaates zu geraten!DESEXIL:Der Begriff stammt vom uruguayanischen, Schriftsteller Mario Benedetti und umschreibt den komplexen Prozess des "Zuriickkehrens", "Heimkehrens", "Aus-dem-Exil-entlassen-wer-den". (All dies sind Umschreibungen in Anfiih-rungszeichen, weil allzu bewusst ist, dass sich der Ausgangspunkt des Exils inzwischen vollig gean-dert hat.) Im Falle von Uruguay und Argentinien ist das Desexil eingeleitet durch eine Anderung der Politik, die die gleichen Machthaber und oko-nomischen Interessengruppen vollziehen, die da-mals das EXIL der Opposition erzwangen. (Im Falle von Uruguay waren es rund 1/2 Million Menschen, also der fiinfte Teil der Bevolkerung, die ausgewiesen wurden). Es ist demnach kein Triumph des Volkes, keine Revolution, keine grundsatzliche Umstrukturierung der politischen Verhaltnisse, die das DESEXIL ermoglichen. Vielmehr ist es ein "Geschenk" der biirgerlich-liberalen Regierung; die Tvire wird dem verlorenen Sohn/Tochter paternalistisch geoffnet, die Amnesic ist ein einseitiges Verzeihen. Auch dies nur dem Schein nach, derm die Bedingungen an die Riickkehrer sind klar definiert: keine Opposition gegen die Strukturen der Wirtschaft und Politik, keine Justiz an den Militars, Kontrolle iiber alle politischen Aktivitaten. Fiir viele politisch enga-gierte Exilierte sind die Auswirkungen des Dese-xils schwieriger und komplexer als es das Exil war. Damals erzwang der politische Feind die Ausweisung, und das Bewusstsein, selber wichtig und fiir die Machthaber im Innern des Landes ge-fahrlich zu sein, befriedigte narzisstische Bedurfnisse und kompensierte die alltaglichen Probleme. Nun wird jedes Individuum vor eine Ent-scheidung gestellt; der Feind ist verschwommen, Fantasien mussen sich mit der Realitat konfrontie-ren. Ohne Zweifel hat sich die Hoffnung des Des-exils wahrend den mehr als 10 Jahren Exil in je-60JOURNALdem Individuum als Ort intensivster Erwartungen cingenistct. In jcdem Exilicrtcn lobt ein "Held und Martyrer", die Leiden und Schwierigkeiten miis-sen kompensiert werden, und die Traume und Hof f-nungen auf die Ruckkehr sind nebst den rationalen politischen Inhalten aus tiefen infantilen Quellen gespiesen. Ohne Zweifel waren alle ohne Zogern zuriickgeeilt, wenn ... aber statt Siegesgefiihle kommen Scham und ohnmachtiger Zorn hoch, die bittere Frage liegt vielen auf der Zunge: Lohnte sich der Kampf, haben wir versagt, war alles um-sonst?Narzisstische Krankungen iiber die offen-sichtliche momentane Niederlage, erneutes Be-wusstsein iiber die Langwierigkeit des Kampfes, iiber die ungleichen Machtverhaltnisse und die Schwierigkeit des Wiederaufbaus der linken Or-ganisationen dampfen und erniichtern die Eupho-rie des ersten Momentes, bei vielen losen sie De-pressionen und Resignation aus; viele zogern ange-sichts des Elends und der Armut mit der Ruckkehr. Der jahrelange Kommunikationsabbruch und die physische Trennung von der Heimat liess diese zum fremden Land werden, und die Nostalgic ver-zerrte meistens noch das ohnehin schon entfernte Bild der Realitat. Praktisch alle Exilierten mus-sen sich damit abfinden, iiberall, selbst in der al-ten Heimat, fremd zu sein.Im emotionalen Bereich muss die verlorene Kindheit betrauert werden, gleichzeitig mit dem Akzepticren der Endlichkeit des eigenen Lebens. Was weiterlebt und neue Formen im Exil angenom-men hat, ist die Utopie, der Entwurf fiir cine ge-rechtcre Welt und menschlichcre Gesellschaft.Die Welt ist zusammengeschrumpft, internatio-nale Vernetzungen haben sich ergeben; nebst der okonomisch verheerenden Abhangigkeit zwi-schen den lateinamerikanischen Landern und den wirtschaftlichen Monopolen enstand an der Basis eine Kommunikation und Solidaritat, die immer-hin auch politisch ein Triumph ist.Dieser Artikel versteht sich als Teil da-von, und ich hoffe, in zukiinftigen Diskussionen die fokussierten Themen vertiefen zu konnen!
Literatur:Mario Benedetti: El Desexilio, Madrid 1985 (B Pais)Ana Vasquez u.a.: Reflexiones Sobre El Exilic Y sus repercusiones psicologicas, internes paper 1978 BarcelonaVerschiedcne Autorinnen: Las Mujeres Del Cono Sur Escriben; Buenos Aires-Stockholm, (Nordan comunidad Edit) 1983M. Vignar, H. Amigorena: Entre le Dehors et le dedans: L'instancc Tyranniquc; 1977 (Critique)Verschiedcne Autoren: Un Continent Torture; Publication der AICT (Association centre la torture) 1984Paul Parin: Der Widerspruch im Subjekt; Syndikat 1978Mario Erdheim: Die Tyrannische Instanz im Innern; Journal fur Geschichtel982Silvia Amati: Quclquos Reflexions sur la torture pour Interduire une Discussion Psychoanalytique; Psyche 31, 1977