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´Zwischen Gewalt und Hoffnung´ heisst unser Leitmotiv, mit dem wir seit über 10 Jahren in Gaza / Palästina im Bereich der psychosozialen Arbeit unser Psychodrama Ausbildungsprojekt am GCMHP (Gaza Community Mental Health Program) und PMRS (Palestinian Medical Relief Society) durchführen! Das Projekt wird von ‘medico international Schweiz’ unterstützt und kann auch mit der Hilfe des DEZA rechnen, das nebst ‘medico international Deutschland’ für die Einreisebewillingungen nach Gaza einsteht. 

Wir sind stolz darauf, dass unsere Arbeit das einzige langfristige Projekt im Bereich von Mental Health in Gaza ist, das durchhalten konnte über all diese Jahre hinweg, und das auch jetzt weitergeht, mit Verstärkung von anderen PsychodramatikerInnen aus Europa, die solidarische Arbeit mit uns zusammen leisten. Wahrlich ein kleiner Sieg über Kriegstreiben, Mauern, Checkpoints, Ausgrenzungen, Stigmatisierungen und Demütigungen der palästinensischen Bevölkerung gegenüber. Wir können sogar vorwegnehmen, dass wáhrend dieses Jahres 2013 die nationale palästinensische Psychodrama Vereinigung gegründet wird, die unser Projekt in Gaza mit dem FREEDOM THEATER in Yenin, der PMRS Gruppe in Nablus und dem TRC (Treatment and Rehabilitation Center for Victims of Torture) in Ramallah verbinden soll; ein Netzwerk, das auf professioneller Ebene den Austausch, die Ausbildung und die Vertiefung der Kenntnisse im Bereich des Psychodramas fördern soll. Unsere Gruppe in Gaza kann bisher ihre KollegInnen in Ramallah nicht besuchen, sie leben hinter Mauern, aber mit Video Konferenzen und dank dem Internet ist doch eine Verbindung möglich.

Wenn Maja Hess, die Ko-Leiterin im Ausbildungsprojekt, oder ich als verantwortliche Ausbildnerin und Psychodrama Leiterin – jeweils unser Projekt vorstellen, mit Vorträgen und der DVD als Zeugnis, dass wir während 10 Jahren eine Gruppe von interdisziplinären KollegInnen des GCMHP und der PMRS als PsychodramatikerInnen diplomieren konnten, kommen die verschiedensten Reaktionen im europäischen Publikum; für viele wirkt das Projekt unglaubwürdig, und oft kommen Vorwürfe gegen uns, wir seien anti-semitisch eingestellt, oder noch schlimmer: wir würden Propaganda fúr Terroristen machen!

So wenig ist bekannt darüber, was hinter den Mauern passiert, und so gut wirkt diese Strategie der Ausgrenzung, um eineinhalb Millionen Menschen als ‘Terrorist/Innen’ abzustempeln! Linke Psychoanalytiker/Innen haben seit den Anfängen der Psychoanalyse die verheerende Wrikung der projektionen und der Manipulation mit den Massenmedien hingewiesen, immer noch ist die Arbeit von Wilhelm Reich ‘ Massenpsychologie und Faschismus’ aus den 30-er Jahren wegweisend, leider immer noch top aktuell. Immer ausgekúgeltere Sttrategien warden von Psycholog/Innen erfunden, um Feindbilder zu entwerfen, den teuflischen Zirkel der Gewalt zu verschärfen; und die Politik der Kriegsgeschäfte blüht wie noch nie zuvor.

Dies ist kurz skizziert der Hintergrund, auf dem wir unser Projekt realisieren, und obwohl bereits Ende der 90-er Jahre, nach dem Betrug und der Illusion des Friedensabkommens von Oslo (1995) – sichtbar war, dass die Konflikte zunehmen warden, hätten wir niemals gedacht, welche Form sie anehmen würden. Zu gleicher Zeit, da Europa der Fall der Mauer als grossen Triumph feierte, wurden bereits die Mauern in Palästina vorbereitet, die die Bevölkerung zersplitterte, die auch israelische und palästinensische Nachbarn trennten und letztlich zu Feinden stigmatisierten. Eine verzweifelte selbstgebastelte Kassam Bombe aus Gaza hatte zur Antwort eine massive ‘Bestrafung’ seitens einer der best ausgerüsteten Armee. In anderer Form ging die Intifada weiter, und die Gewalt eskalierte mit jedem Siedlungsbau seitens der Besatzungsmacht Israel mehr.

Ist psychosoziale Arbeit überhaupt möglich in einer solchen Situation? Unsere palästinensischen Partner Organisationen und auch die israelische Organisation ‘Physicians for Human Rights’ überzeugten uns davon, dass eine solche Arbeit immer notwendiger wird, um zu versuchen, die Gewaltspirale einzudämmen, der Todeskultur der fundamentalistischen Gruppen eine Kultur des Lebens entgegenzuhalten; zu versuchen, die tiefst menschlichen Gefühle nicht nur von Hass, sondern von Liebe und Solidarität zu fördern.

Freud hatte wohl recht, als er annahm, zuerst war der Hass, dann käme eventuell die Liebe, dann begänne die grosse Arbeit der Menschen an der Kultur, um vom Tier zum menschlichen sozialen Wesen zu gelangen….! Er blieb pessimistisch, bezichtigte die Sozialist/Innen und Kommunist/Innen als Idealist/Innen, die die wahre menschliche Realität nicht kennen würden. Und doch arbeitete er bis zum Tode an seinen Theorien über Gesellschaft, Kultur, menschliches Zusammenleben, und sein letztes grosses Werk ‘ Moises und die monotheistischen Religionen’ können wir in unserem Kontext der Religionskriege zwischen Moslems, Juden, Christen, die wohl auf konkreten materialistischen Interessen beruhen und doch alle präsent sind in Jerusalem und im ‘unheiligen Land’, einreihen !

Oft müssen auch wir uns dagegen wehren, die Todestriebs Theorie anzunehmen und in Resignation zu verfallen. Wir sehen uns tramatisierten Menschen gegenüber, die sich immer gegen neue Traumatisierungen zur Wehr setzen müssen und ständig in Unsicherheit leben: kommt morgen wieder eine Bombe und zerstört die Familie, das Haus, die wenig úbrig gebliebenen Olivenhaine?

Die Spuren der Diktatur in der dritten Generation.

Eine Forschungsarbeit mit Psychodrama

 

Ursula Hauser (San José/Costa Rica – 9731 km)

Obwohl schon in den 70-er Jahren ein reger Austausch von uns Zürcher PsychoanalyitkerInnen und den österreichischen KollegInnen bestand, sind für mich die letzten 30 Jahre doch besonders wichtig: unser ‚Brüggli‘ – ein Ausdruck, den Karl Fallend für unsere internationalen Freundschaftsbeziehungen geprägt hat – wurde durch meine ungeplante Migration nach Zentralamerika besonders stark.

Die freundschaftlichen Besuche der europäischen KollegInnen in Nicaragua und später in Costa Rica benutzten wir, um – neben den genüsslichen Parrillas, politischen Diskussionen und dem Strandleben in Palo Seco, unsere psychoanalytischen Tätigkeiten auszutauschen und die Organisation ASPAS (Associacion de psicoanalisis critico social: www.aspascostarica.org), zu stärken.

Durch meinen Lebenspartner Antonio Grieco, ein uruguayischer Tupamaro, wurde ‚das Brüggli‘ weiter nach Südamerika gespannt, wo mein neues Forschungsprojekt angesiedelt ist, das ich hier vorstelle.

Vor 41 Jahren erlitt Uruguay den Militärputsch, der ´die Schweiz von Südamerika´ in ein verarmtes Land mit einem traumatisierten Volk verwandelte.

Die 13jährige Militärdiktatur zerstörte beziehungsweise zerstreute Familien und soziale Netzwerke in alle möglichen Länder.

Bereits vor dem Militärputsch in den 1960er Jahren hatten die Tupamaros die Ausbeutung der armen Schichten durch die reichen oligarchischen Machthaber der beiden grossen Parteien - ‚Blancos‘ und ‚Colorados‘ – mit spektakulären Aktionen aufgezeigt, z.B. der von Raúl Sendic organisierte Zuckerrohrarbeiter-Marsch in die Hauptstadt Montevideo.

Die ökonomische Krise der 1960-er Jahre führte zur Gründung der grössten und überparteilichen Gewerkschaft, die PIT-CNT, die als Vorläuferin der 1971 gegründeten Frente Amplio gilt.

Heute stellen die Tupamaros die Regierung! Die ehemaligen als Terroristen denunzierten AktivistInnen genießen in Lateinamerika und Europa einen guten Ruf.

Dies gilt vor allem für den Staatspräsidenten Pépe Mujica, der nach 13 Jahren Gefängnis ungebrochen seine revolutionäre Ideen und seine bescheidene Lebensweise weiter verfolgt.

In diesem Kontext, verstärkt durch die persönliche Verstrickung durch Antonio und weil wir gemeinsam die Tupamaros unterstützten, siedelte ich mein neues Projekt in Uruguay an. Antonio verstarb leider bereits 1996 an einem Herzinfarkt, das heißt an den nachträglichen Folgen der Folter, die er im Gefängnis zwar überlebte, die aber Spuren hinterliessen. 1981 lernte ich ihn, der in den langen Jahren des Exils, immer Internationalist und politischer Kämpfer blieb, in Nicaragua kennen. Liebe und Revolution haben mich zu einer Migrantin gemacht und mit Uruguay auf spezielle Art verbunden.

Den Anstoß gab ein Traum vor drei Jahren:

„Ich sitze auf dem Rand eines Bootes, bereit zum Tauchen, mit den Pressluft-Flaschen auf dem Rücken (so wie ich es in Kuba gelernt habe). Antonio taucht auf und fragt mich: wie geht Deine Forschung? (ich weiss sofort, wovon er redet: Die Spuren der Diktatur in der dritten Generation) Ich sage: alles geht gut, aber ich habe eine Frage: soll ich nur mit den Enkelkindern der Linken arbeiten, oder auch mit Nachkommen der Militärs? Antonio antwortet: mach die Forschung so breit als möglich!“

 

Als ich erwachte, begann ich an diesem Projekt zu schreiben, das ich im letzten Mai begonnen habe und nun weiterführe.

Auch nachdem die Militärdiktatur 1985 in Uruguay endete, blieben Antonio und ich in Costa Rica, im verlängerten Exil, da 1987 durch einen Volksentscheid das Gesetz zur Straflosigkeit der Folterer in Kraft trat. „Vergessen und Verdrängen“ war die Devise und ist es bis heute. Obwohl einige der hauptverantwortlichen Generäle inhaftiert wurden, gilt das Gesetz immer noch. Folterer und ihre Opfer leben potentiell Tür an Tür.

Antonio musste das erleben. Während einem seiner Besuche sprach ihn im Bus einer seiner Peiniger an, „Grieco, kennst du mich noch?“ und suchte ihm die die Hand zu reichen. Damit war entschieden, ein Leben für ihn war in Uruguay unmöglich.

Ich bedauerte diese Entscheidung sehr. Hatte ich mich doch mit psychoanalytischen KollegInnen vom Cono Sur (Argentinien, Uruguay, Chile), die ich von der Plataforma Internacional (1969-89) her kannte, an konkreten Plänen gearbeitet, wie z.B. ein Universitäts-Curriculum, in dem der Psychoanalyse und den Gruppenmethoden ‚ Grupo operativo‘ und Psychodrama ein besonderer Platz eingeräumt wurde. Aber ich respektierte Antonios Entschluss. In der Folge verwirklichten wir in den 1980er Jahren von Costa Rica aus viele Projekte, sowohl im politischen wie auch im beruflichen Feld, war es in Kuba, El Salvador, Nicaragua oder Guatemala.

Nun besuchten uns auch zwei seiner vier EnkelInnen. Wir mussten erkennen, dass sie nichts über die Geschichte von Antonio wussten, was ihn sehr schmerzte. Antonio’s Sohn, der 13 gewesen war als sein Vater ins Gefängnis kam, konnte den Verlust und die Misshandlungen seiner Mutter durch Militärs nie verwinden. Auch selbst musste er wöchentlich ins Hauptquartier und wurde verhört: ‚Was machte Dein Vater, wer sind seine Freunde?‘ Anstelle einer glücklichen Adoleszenz lebte er, wie tausende von Söhnen und Töchtern der kämpfenden Guerilla, mit Angst, Wut und Unverständnis gegenüber den Gründen für die Verfolgung und die Trennung von seinem Vater.

Erst viele Jahre später konnten sich Sohn und Vater wieder treffen, im Kontext von Exil und in Klandestinität, also weit von einer befriedigenden Kommunikationssituation entfernt. Der Sohn beschuldigte den Vater mit der ‚verdammten Politik‘ sein Leben zerstört zu haben und Antonio versuchte ihm seine Beweggründe dafür zu erklären, eine gerechtere Welt und eine bessere Zukunft. Beide dünnhäutig haben sehr gelitten. Später versuchte ich zu vermitteln, allerdings vergeblich. Bis zu seinem Tod hörte er nur die Schuldzuweisung des Sohnes - ein grosser Schmerz im Leben meines Liebsten.

Natürlich teilte ich seinen Schmerz, verstand die Reaktionen und erkannte einmal mehr, dass Krieg, Terror, Abbruch der Kommunikation und Schweigen menschliche Beziehungen zerstören, Wunden zufügen und verhindern, dass gegenseitiges Verstehen möglich wird. Ich fühlte mich hilflos, einsam und wütend an der Seite von Antonio, der niemals in die Opferrolle schlüpfte, aber es doch im doppelten Sinne blieb: Opfer des Staatsterrorismus und Opfer des Hasses seines Sohnes.

Dies ist meine Vorgeschichte, die den Traum und mein Projekt mit der dritten Generation verständlich machen soll. An den in Psychodrama-Gruppen strukturierten Forschungsprozess sind neben zwei Enkeln von Antonio, Emiliano und Analia, weitere 15 junge Menschen aus Maldonado, der Heimatstadt von Antonio beteiligt.

Meine zentralen Fragen dabei sind: Stimmt es, dass diese junge Generation gleichgültig und uninteressiert ist an der Geschichte ihrer Familie, und speziell über die Zeit der Militärdiktatur nichts wissen wollen? Was können die jungen Menschen in Uruguay zwischen 16 Jahren und 27 Jahren erinnern, wie stellen sie sich diese Zeit vor?

 

Der Beginn der Forschungsarbeit im Mai 2013

 

Als ich Emiliano fragte, ob er eine Gruppe von FreundInnen und Bekannten für diese Psychodrama Workshops organisieren könne, stellte er mir dieselbe Frage wie ich im Traum Antonio: soll ich nur in den Reihen der Frente Amplio suchen, oder auch EnkelInnen der Militärs? So breit als möglich, war meine Antwort. Allerdings bekannte er mir kurz darauf, dass es ihm unmöglich sei, auch auf der Seite der Militärs Kontakte zu suchen!

Wichtig in der Vorbereitung der Arbeit war Emilianos Mutter. Antonio hatte die Gewerkschafterin des Lehrer- und Magistratgremiums, die schon lange geschieden lebt sehr gern gehabt und sie ihn auch. Nun nach vielen Jahren als Geschichtsprofessorin in der Mittelschule pensioniert, ist sie für das Kulturzentrum von Maldonado verantwortlich und fungierte als Distributorin meiner Projektidee. Erstaunt genoss ich den herzlichen Empfang und das weitgestreute Interesse an dem Vorhaben, von verschiedensten Gruppen im Menschenrechtsbereich ebenso wie in politischen Gremien. Das war nicht immer so. Ich verstand das Misstrauen als Reaktion auf das 15-jährige Verbot während der Militärdiktatur, über die Tupamaros und politische Themen zu sprechen; aber auch als Weigerung, die Zeit des Terrors und der Traumas zu erinnern und durchzuarbeiten, die Wunden, Schmerzen und Verluste zu thematisieren und zu beweinen. Alle in Uruguay, auch die linken companeras/os, wollten vergessen!

Aber nun, nach 40 Jahren schien alles anders: Selbst die alten Kommunisten öffneten mir die Türen, auch sie wollten reden, das Schweigen brechen! Die Delegierte der weiblichen Ex-Gefangenen der Tupamaras gestand, dass sie in der Familie nie von ihrem Leben und ihrer Geschichte gesprochen habe, schon gar nicht über die erlittenen Folterungen! Der Hauptgrund für diese neue Offenheit scheint in der neuen Regierung zu liegen - Tupamaros in demokratischen Wahlen gewählt.

Im Stadthaus von Maldonado veranstaltete ich in Folge mit offizieller Unterstützung seitens der Regierung zweitägige Workshops mit der Methode des Psychodrama.

Die Resultate waren erstaunlich:

 

  • Alle Beteiligten wollten weitermachen und mehr von Psychodrama und ihrer eigenen Geschichte wissen.

  • Die meisten erkannten, dass sie durch das Schweigen in ihren Familien keinen Zugang zur Familien- und uruguayischen Geschichte hatten, und dass sie erst jetzt die Überlebenden das Bedürfnis verspürten, fragen zu wollen.

  • Viele konnten ihre körperlichen Beschwerden als psychosomatische Symptome und von ihren Eltern und Grosseltern übertragenes Leiden erkennen Z.B. verschwanden chronische Rückenschmerzen einer jungen Frau, die nie über den frühen Tod ihres Vaters in der Gefangenschaft weinen hatte können, als sie während der Gruppenarbeit in Tränen ausbrach. Alle möchten, dass in ganz Uruguay solche Workshops durchgeführt werden, und eine neue Art von subjektiver Geschichtsaufarbeitung im grossen Rahmen entsteht!

  • Ein grosser Teil der Gruppe sind FreundInnen geworden und haben verschiedene Aktivitäten im Bereich der Menschenrechtskommission organisiert, einer der jungen Männer hat eine regelmässige Radiosendung vom Samstagmorgen, mit dem Namen: VOCES (Stimmen) initiiert.

  • Alle unterstützen mein Projekt, an der Universität in Montevideo, zusammen mit anderen PsychodramatikerInnen, ein Masterprogramm Memoria y Psicodrama nach kubanischemVorbild aufzubauen (seit 6 Jahren existiert an der Universität von La Havanna die Maestria de Psicodrama y Procesos Grupales).

 

Diese Forschungsarbeit hat auch mich selbst emotional sehr mitgenommen: einerseits voller Glück über die erreichten Ziele, andererseits voller Trauer, dass Antonio das nicht erleben konnte. Auch die Frage im Traum, dieselbe die auch Emiliano stellte, löste sich auf: ohne es zu wissen, war die Tochter eines Folterers Teil der Gruppe, die in der Menschenrechtskommission engagiert ist.

Nach dem Workshop hatte sie mit ihrem Vater geredet, dieser jedoch kein Wort gesagt. Daraufhin informierte sie sich bei anderen Verwandten und erfuhr, dass: er nicht nur Soldat, sondern aktiver Folterer war, mitbeteiligt am Tod von zwei Tupamaros der Gegend Als wir bereits eine Vertrauensbasis aufgebaut hatten, ‚gestand‘ sie, dass ihr Vater ein ‚Milico‘ sei, jetzt pensioniert, aber jedenfalls auf der ‚anderen Seite‘ gestanden hätte. Zuerst reagierten alle, auch ich, überrascht, dann umarmten sie die Kollegin und meinten, es könne ja niemand was für die Taten der Eltern. Es scheint, dass nach 40 Jahren die Widerstände überwunden werden können, von der eigenen Geschichte ausgehend, werden die jungen Leute durch eine solche Arbeit zu ProtagonistInnen, die ihre Wurzeln und ihre Subjektivität suchen und aktiv damit umgehen wollen. Früher schale Begriffe wie Golpe de Estado (Militärputsch) oder Estado de Sitio (Ausgangsverbot) wurden durch die Inszenierung im Psychodrama lebendig, die Jungen kamen ihren Grosseltern näher, begannen zu verstehen. Viele fragten sich: weshalb habe ich nicht früher gesucht, gefragt?

Das bedeutet, der Augenblick ist gekommen, wo politische Psychologie, im Besonderen psychoanalytisches Psychodrama, einen wichtigen gesellschaftspolitischen Stellenwert bekommen könnte - nicht nur in Uruguay. Sei es in Chile, in Argentinien, in Brasilien - überall löst das Projekt Interesse aus. Dementsprechend gehen meine Gedanken in die Richtung, das vor 3 Jahren in Kuba gegründete Netzwerk Psicodrama SUR-SUR (das auch Palästina einschliesst), zu aktivieren und ein internationales Projekt daraus zu entwickeln. Ob die Universitäten für das geplante Master Programm: Memoria y Psicodrama (Gedächtnis und Psychodrama) zu gewinnen sind, wird sich in nächster Zeit zeigen.

In diesem Versuch, einige Diskussionsanregungen zur komplexen thematisierten Problematik zu formulieren, beziehe ich mich auf die juengsten Erfahrungen von Uruguayaner/innen und Argentinier/innen, die wahrend den letzten 2 Jahren von dieser Situation betroffen wurden; zum Thema des Exils auch auf die Arbeit von chilenischen Psychologinnen, die in Frankreich selber dieses Schicksal erleiden.Vorerst mochte ich betonen, dass es ein grosser Fehler ware, das Exil und dementsprechend auch das Desexil zu psychologisieren oder gar zu pathologisieren; grundsatzlich bleiben diese Si-tuationen auferzwungene politische Lebensbedin-gungen, Resultat von Unterdriickung und Verfol-gung und historisch unausweichliche Etappen je-der Oppositionsgruppe, die nicht im Gefangnis er-mordet oder in die Klandestinitat untergetaucht ist. In diesem Sinne ist das Exil ein kollektives Schicksal fiir ein klassenbedingtes Ziel, und des-halb mussen die Folgen in erster Linie aus politi-scher und sozialpsychologischer Sicht analysiert werden. Zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgte fur das Individuum als Strafe fur seine oppositio-nelle Haltung dem herrschenden Regime gegenii-ber die Ausweisung aus dem Heimatland, verbun-den mit dem Verbot, friiher als bewilligt zuriickzu-kehren, und damit begann auch das individuelle Trauma. Im Unterschied zur Emigration, die aus individuell-okonomischen Griinden erfolgt, ist das Exil ein kollektiver politischer Prozess mit ei-ner zeitlich beschrankten, aber unsicheren Dauer.Prinzipiell denke ich, dass fiir die Probleme des Exils keine psychologische Therapie "erfolg-reich" sein kann, die nicht den spezifischen histo-rischen und politischen Hintergrund - die Voraus-setzungen und Ursache des Exils - miteinbezieht.Es kommen also einige Variablen mehr in die psychologische Diskussion und in die thera-peutische Situation, als dies der Fall ist bei nicht-exilierten Leuten. Unter anderem ist zu beriicksich-tigen, dass der Gruppenzusammenhang zwischen den Exilierten mehr als eine "normal" iibliche Bc-deutung hat; die Gruppe ist Reprasentant des Hei-matlandes und eminent wichtig fur die Identitats-behauptung der Individuen. Sie sollte nicht nur psychodynamisch angesprochen werden, z.B. in ihren regressiven Funktionen, als unterdriickende Mutterreprasentanz etc., sondern ebenso in ihrer realen konkreten, sozusagen ethnologischen Bedeu-tung. Eine Besonderheit der Exiliertengruppen ist der standige Wechsel ihrer Mitglieder; entspre-chend der politischen Situation im Heimatland kommen neue Leute hinzu, andere gehen, es gibt keine zeitliche Stabilitat. Dieses Bewegung hat meiner Ansicht nach vorwiegend eine progressive Funktion: standiger Informationszuschub, Aus-tausch von Erfahrungen mit Gruppen in anderen Landern; Neugier und Hoffnung werden geweckt, Apathie und Depression gemindert.Im psychologischen Sinne und fiir den Einzel-fall kann diese Unstabilitat aber auch negative Folgen haben. Das grosste Problem scheint dasje-nige der Schuld zu sein; schuldig fiihlen sich dieje-nigen, die bereits langer im neuen Land sind (und sich mehr oder minder angepasst haben), den Neu-ankommlingen gegeniiber, und schuldig fiihlen sich fast alle den companeros/as gegeniiber, die nicht im Exil sind. Oftmals kommen iiberdies die Neuen mit Anklagen und Uberich-Einstellungen dieser Tendenz entgegen und bezichtigen die "Al-ten" als Opportunisten und Verrater. Selbst wenn dem so ware, geht es in erster Linie darum, die Strategic des Regimes zu analysieren, welche da-rin besteht, die Opposition im Exil zu schwachen und zu zersplittern.Nebst der Schuld ist das wichtigste psychologische Problem, das alle im Exil betrifft, dasje-nige der Trauer und des Verlustes. Es ist nicht nur die zeitlich bedingte Trennung von den Angehori-gen und der Heimat, es ist der reale Verlust vieler Freunde, der verarbeitet werden muss. Dies er-schwert natiirlich die notwendigen existentiellen Anpassungsleistungen, die die Exilierten machen59JOURNALmussen (Arbeit suchen, die neuen Sprachen lernen, den Kulturschock iiberwinden, Wohnung suchen, Aggressionen und Fremdenhass abwehren, um nur einige davon zu nennen). Im individualpsychologi-schen Bereich ergeben sich als haufigste Abwehr-mechanismen des Traumas die bekannten Formen der Isolierung und Abspaltung (Abkapselung in die Gruppe, Autismus, Zuriickweisen der neuen Um-gebung), Idealisierung der Heimat, Entwertung des neuen Landes, Agieren (meist im politischen Feld), paranoide Reaktionen (nebst dem adaqua-ten Bewusstsein der politischen Kontrolle), De-pressionen und Melancholic bis zu Selbstmord.Grundsatzlich stellt sich die Frage nach der Kanalisation der aufgestauten Aggression. Dass es sich um berechtigte Gefuhle der Wut und des Hasses handelt, bestreitet wahrscheinlich nur der Aggressor selber, in unserem Fall die ver-gangenen Militarregimes und ihre Komplizen in der gegenwartigen Regierung. Allzugern mochte die Reaktion ihre Gegner als neurotische "Ele-mente" neutralisieren, in psychiatrische Kliniken verstauen oder in Verhaltenstherapien sozial an-passen, d.h. ihnen den Mund stopfen und die Forde-rung nach Gerechtigkeit verstummen lassen. Im Ge-gensatz dazu geht es darum, diese Emotionen in ih-rem progress!ven Kern lebendig zu erhalten und zu politisieren, zu "kollektivisieren". Hierbei ist fiir das Individuum naturlich seine politsche Ideolo-gie und seine Zugehorigkeit zu einer Organisation, die Zukunftperspektiven erarbeiten und die vergangenen Erfahrungen analysieren kann, von entscheidender Bedeutung. Selbstverstandlich meine ich damit nicht, dass politische Aktivitat sozusagen eine Garantie gegen psychisches Leiden ware, oder dass eine Einsicht in dem gesamtpoliti-schen Zusammenhang des Exils psychologische Probleme ersparen wurde. Sicher zeigen aber die Erfahrungen, dass eine enge Interdependenz zwi-schen dem Grad des politischen Bewusstseins und der Reaktion auf die individuellen Probleme im Exil besteht. Dies wissen naturlich auch diejeni-gen Herrschaftsfunktionare, die die politische Opposition annullieren wollen. So wie auf brutale direkte Weise ein grosser Teil der Linken in La-teinamerika umgebracht oder durch die Folter schwer geschadigt wurde, so soil auch der exi-lierte Teil auf "sanfte" Art und Weise politisch beseitigt werden. Wir konnten den psychologi-schen Aspekt des Fluchtlingswesens und der Asyl-/Exilpolitik, wie sie in den meisten Landern geplant wird, unter dem Blickpunkt der repressi-ven Toleranz verstehen, und wir kennen nur allzu gut ihre Auswirkungen: Dankbarkeit wird gefor-dert, Kampflust geschwacht, wenn nicht krimina-lisiert. Dazu kommt die Verfiihrung der hochent-wickelten Konsumwelt, die regressive Tendenzen fordert und Kompensationen aller Art anbietet, vor allem fiir die Menschen aus sogenannten Dritt-welt-Landern. Und bekannterweise sind es ja die reichen Lander, eben gerade diejenigen, die ihren Wohlstand der Ausbeutung der Drittweltlander verdanken, die Refugium anbieten!Im Individuum soil Verwirrung gestiftet werden, die existentiellen Bedurfnisse und die Vergangenheit sollen vergessen werden, soziale Hilfe wird als Versohnung und als Erpressung an-geboten und kann im Einzelfall eine "Double-bind" Situation und den Zerfall der psychologi-schen Integritat des Individuums herbeifuhren.Es gabe hier viel zu diskutieren, fur dies-mal sei noch ein Ausspruch eines Uruguayaners zi-tiert: Lieber hungrig und mit falschen Papieren auf der Flucht sein als in die Abhangigkeit des So-zialfiirsorgestaates zu geraten!DESEXIL:Der Begriff stammt vom uruguayanischen, Schriftsteller Mario Benedetti und umschreibt den komplexen Prozess des "Zuriickkehrens", "Heimkehrens", "Aus-dem-Exil-entlassen-wer-den". (All dies sind Umschreibungen in Anfiih-rungszeichen, weil allzu bewusst ist, dass sich der Ausgangspunkt des Exils inzwischen vollig gean-dert hat.) Im Falle von Uruguay und Argentinien ist das Desexil eingeleitet durch eine Anderung der Politik, die die gleichen Machthaber und oko-nomischen Interessengruppen vollziehen, die da-mals das EXIL der Opposition erzwangen. (Im Falle von Uruguay waren es rund 1/2 Million Menschen, also der fiinfte Teil der Bevolkerung, die ausgewiesen wurden). Es ist demnach kein Triumph des Volkes, keine Revolution, keine grundsatzliche Umstrukturierung der politischen Verhaltnisse, die das DESEXIL ermoglichen. Vielmehr ist es ein "Geschenk" der biirgerlich-liberalen Regierung; die Tvire wird dem verlorenen Sohn/Tochter paternalistisch geoffnet, die Amnesic ist ein einseitiges Verzeihen. Auch dies nur dem Schein nach, derm die Bedingungen an die Riickkehrer sind klar definiert: keine Opposition gegen die Strukturen der Wirtschaft und Politik, keine Justiz an den Militars, Kontrolle iiber alle politischen Aktivitaten. Fiir viele politisch enga-gierte Exilierte sind die Auswirkungen des Dese-xils schwieriger und komplexer als es das Exil war. Damals erzwang der politische Feind die Ausweisung, und das Bewusstsein, selber wichtig und fiir die Machthaber im Innern des Landes ge-fahrlich zu sein, befriedigte narzisstische Bedurfnisse und kompensierte die alltaglichen Probleme. Nun wird jedes Individuum vor eine Ent-scheidung gestellt; der Feind ist verschwommen, Fantasien mussen sich mit der Realitat konfrontie-ren. Ohne Zweifel hat sich die Hoffnung des Des-exils wahrend den mehr als 10 Jahren Exil in je-60JOURNALdem Individuum als Ort intensivster Erwartungen cingenistct. In jcdem Exilicrtcn lobt ein "Held und Martyrer", die Leiden und Schwierigkeiten miis-sen kompensiert werden, und die Traume und Hof f-nungen auf die Ruckkehr sind nebst den rationalen politischen Inhalten aus tiefen infantilen Quellen gespiesen. Ohne Zweifel waren alle ohne Zogern zuriickgeeilt, wenn ... aber statt Siegesgefiihle kommen Scham und ohnmachtiger Zorn hoch, die bittere Frage liegt vielen auf der Zunge: Lohnte sich der Kampf, haben wir versagt, war alles um-sonst?Narzisstische Krankungen iiber die offen-sichtliche momentane Niederlage, erneutes Be-wusstsein iiber die Langwierigkeit des Kampfes, iiber die ungleichen Machtverhaltnisse und die Schwierigkeit des Wiederaufbaus der linken Or-ganisationen dampfen und erniichtern die Eupho-rie des ersten Momentes, bei vielen losen sie De-pressionen und Resignation aus; viele zogern ange-sichts des Elends und der Armut mit der Ruckkehr. Der jahrelange Kommunikationsabbruch und die physische Trennung von der Heimat liess diese zum fremden Land werden, und die Nostalgic ver-zerrte meistens noch das ohnehin schon entfernte Bild der Realitat. Praktisch alle Exilierten mus-sen sich damit abfinden, iiberall, selbst in der al-ten Heimat, fremd zu sein.Im emotionalen Bereich muss die verlorene Kindheit betrauert werden, gleichzeitig mit dem Akzepticren der Endlichkeit des eigenen Lebens. Was weiterlebt und neue Formen im Exil angenom-men hat, ist die Utopie, der Entwurf fiir cine ge-rechtcre Welt und menschlichcre Gesellschaft.Die Welt ist zusammengeschrumpft, internatio-nale Vernetzungen haben sich ergeben; nebst der okonomisch verheerenden Abhangigkeit zwi-schen den lateinamerikanischen Landern und den wirtschaftlichen Monopolen enstand an der Basis eine Kommunikation und Solidaritat, die immer-hin auch politisch ein Triumph ist.Dieser Artikel versteht sich als Teil da-von, und ich hoffe, in zukiinftigen Diskussionen die fokussierten Themen vertiefen zu konnen!

Literatur:Mario Benedetti: El Desexilio, Madrid 1985 (B Pais)Ana Vasquez u.a.: Reflexiones Sobre El Exilic Y sus repercusiones psicologicas, internes paper 1978 BarcelonaVerschiedcne Autorinnen: Las Mujeres Del Cono Sur Escriben; Buenos Aires-Stockholm, (Nordan comunidad Edit) 1983M.  Vignar,  H.  Amigorena:  Entre le  Dehors  et  le  dedans: L'instancc Tyranniquc; 1977 (Critique)Verschiedcne Autoren: Un Continent Torture; Publication der AICT (Association centre la torture) 1984Paul Parin: Der Widerspruch im Subjekt; Syndikat 1978Mario Erdheim: Die Tyrannische Instanz im Innern; Journal fur Geschichtel982Silvia Amati: Quclquos Reflexions sur la torture pour Interduire une Discussion Psychoanalytique; Psyche 31, 1977

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